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Athener Dilemma

Renten auszahlen oder beim Internationalen Währungsfonds Schulden abstottern? Griechenland scheint derzeit nur eines davon zu können

Von Rainer Rupp *

Wenn die Londoner Buchmacher keine Wetten mehr annehmen, weiß jeder, das Rennen ist gelaufen. Bekanntlich kann man bei »Bookies« sein Geld auf alles setzen, egal wie absurd die Wette scheint. Auch darauf, ob Griechenland 2015 die Euro-Zone verlassen wird. Am Donnerstag jedoch gab das führende Wettbüro William Hill bekannt: Es werden keine »Grexit-Wetten« mehr angenommen. Es werde »immer wahrscheinlicher, dass der Prozess des griechischen Austritts schon in Kürze beginnen könnte«, so Sprecher Graham Sharpe. »Niemand will mehr auf Griechenlands Verbleib in der Euro-Zone bis zum Jahresende wetten. Wir haben beschlossen, den Stecker zu ziehen.«

Am selben Tag ließ Christine Lagarde Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis abblitzen. Laut Londoner Financial Times hatte der zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank nach Washington geeilte Politiker den Fonds um eine Umschichtung des Schuldentilgungsplans gebeten. Die Regierung könne sonst die Ende April fälligen Renten und Löhne im öffentlichen Sektor in Höhe von zwei Milliarden Euro nicht bezahlen. Mit dem Verweis, dass der IWF so etwas seit 30 Jahren nicht mehr getan habe, wurde er abgewiesen. Ebenso verlief sein »privates« Gespräch mit US-Präsident Barack Obama. Nirgendwo sind neue Kredite in Sicht, aber im laufenden Jahr werden weitere 20 bis 23 Milliarden Euro an Rückzahlungen fällig.

Wie aussichtslos die Suche der Syriza-Regierung ist, für die einfache Bevölkerung einen sozialverträglichen Ausweg aus der Zwangsjacke zu finden, die das internationale Finanzkapital Griechenland aufgezwungen hat, machte auch Varoufakis' Auftritt in der Washingtoner Denkfabrik »Brookings Institution« deutlich. Dort hatte vor ihm BRD-Finanzminister Wolfgang Schäuble gesprochen. Schäuble beharrte darauf, dass Griechenland Wort für Wort die von den »Institutionen« (so nennt sich die »Troika« aus IWF, EU und Europäischer Zentralbank jetzt) verordneten Maßnahmen umsetzt. Dazu zählen auch weitere massive Rentenkürzungen.

Varoufakis dagegen erklärte erneut, dass er die von Schäuble und Brüssel geforderten asozialen Einschnitte nicht akzeptieren könne. Diese Maßnahmen hätten in der Vergangenheit nichts gebracht. Vielmehr seien sie dafür verantwortlich, dass Griechenland so besonders tief abgestürzt ist. »Wir werden uns nicht zur Erfüllung von Zielen verpflichten, von denen wir genau wissen, dass unsere Wirtschaft sie auf Grundlage der von unseren Partnern vorgegebenen Richtlinien nie erreichen kann«, so Varoufakis. Der Grund, warum andere Länder der Euro-Zone sich schneller von der Finanzkrise erholt haben, liege darin, dass ihnen weniger restriktive Maßnahmen aufgezwungen worden seien, so der derzeit vom Kapital bestgehasste Finanzminister Europas.

Der Zeitpunkt, an dem Griechenland das Geld ausgeht, kommt schnell näher. Da alle neuen Kreditquellen verschlossen sind, steht die Regierung vor der Wahl, entweder zum Monatsende nur die Hälfte der Renten zu zahlen, um mit der anderen Hälfte die in wenigen Wochen fällige Schuldentranche von einer Milliarde Euro an den IWF zurückzuzahlen, oder nach einer Karenzzeit von einem Monat in den Staatsbankrott abzurutschen.

Was auf den Straßen Griechenlands los wäre, wenn nach Jahren des Niedergangs nun auch noch die linke Regierung die Hälfte der Pensionen einbehalten und an den IWF überweisen würde, kann man sich gut vorstellen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass selbiger IWF mit dem griechischen Geld wenige Wochen später die Faschisten in der Ukraine mit weiteren 2,4 Milliarden US-Dollar unterstützen wird. Dabei steckt die ukrainische Wirtschaft nicht in einer Troika-Zwangsjacke, obwohl der Oligarchenstaat ohne IWF und EU-Geld längst pleite wäre. Die politischen Prioritäten der von den USA-dominierten IWF-Führung sind offensichtlich. Vor diesem Hintergrund könnte eine Überweisung an den IWF die Grundfesten der sozialistischen Syriza-Partei erschüttern.

Varoufakis scheint sich auf ein anderes Finale vorzubereiten, zumal vor seinem Abflug nach Washington die Ratingagentur S&P griechische Schatzbriefe auf Schrottniveau herabgestuft hatte. Während das kaum eine Meldung wert war, sorgte dagegen ein Bericht für Aufregung, wonach der Finanzminister sich am Freitag »mit dem berüchtigten, auf die Abwicklung von Staatsschulden spezialisierten Anwalt Lee Buchheit« habe treffen wollen. Buchheit habe zahlreichen Ländern geholfen hat, »ihre Schulden neu zu strukturieren«. Kein Wunder, dass bei den »Bookies« keiner mehr auf den Verbleib Griechenlands im Finanz-Völkergefängnis Euro-Zone wetten wollte.

* Aus: junge Welt, Samstag, 18. April 2015


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