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Mörder vor Gericht

Guatemalas früherer Militärdiktator Ríos Montt muß sich seiner Verantwortung stellen. Richterin verhängt Hausarrest

Von Andreas Knobloch *

Guatemalas früherer Militärdiktator Efraín Ríos Montt hat sich am Donnerstag geweigert, bei einer Anhörung vor Gericht auszusagen. Bei dieser sollte entschieden werden, ob es zu einem Prozeß kommt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des 36jährigen Bürgerkrieges in dem zentral­amerikanischen Land vor, bei dem rund 250000 Menschen getötet wurden oder »verschwanden«. Als Staatschef soll er Pläne »autorisiert, entworfen und überwacht« haben, nach denen das guatemaltekische Militär gegen vermeintliche Aufständische vorging und dabei Massaker in indigenen Gemeinden verübte.

Bis zum 14. Januar dieses Jahres hatte Ríos Montt als Kongreßabgeordneter Immunität genossen. Erst nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament kann er nun gerichtlich belangt werden. »Ich ziehe es vor zu schweigen«, so der 85jährige auf die Frage von Richterin Carol Patricia Flores, ob er sich zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft äußern wolle. Diese stellte ihn daraufhin unter Hausarrest und erklärte, die Anklagebehörde habe ausreichend Hinweise auf eine Verantwortung des Militärs für die Massaker vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft hat nun bis zum 17. März Zeit, einen Strafprozeß gegen den Exdiktator vorzubereiten. Während der Anhörung demonstrierten vor dem Gerichtsgebäude lautstark etwa 700 Menschenrechtsaktivisten.

Nach dem Staatsstreich vom 23. März 1982 hatte Ríos Montt 17 Monate lang an der Spitze Guatemalas gestanden. Seine Regierungszeit gilt als eine der blutigsten in der Geschichte des zentralamerikanischen Landes. Bereits seit 1960 war der Staat in einen blutigen Bürgerkrieg mit der linken Guerilla verwickelt, die vor allem Anfang der 80er Jahre durch den Sieg der Sandinisten in Nicaragua Auftrieb erhalten hatte. Das guatemaltekische Militär antwortete mit in der US-amerikanischen Folterschule »Escuela de las Américas« vermittelten Techniken der Aufstandsbekämpfung. Allein in Ríos Montts Regierungszeit, so Staatsanwalt Manuel Vásquez, ermordeten die Streitkräfte bei elf Massakern insgesamt 1771 Menschen. Zudem sind 1485 Fälle sexueller Mißhandlungen von zum Teil minderjährigen Frauen dokumentiert; 30000 Menschen wurden vertrieben. Vor allem in der nordguatemaltekischen Region El Quiché wüteten damals die Militärs in einem Ausmaß, das die nach 1996 eingesetzte Wahrheitskommission von Völkermord sprechen ließ.

Ríos Montts Verteidiger Gonzalo Rodríguez Gálvez präsentiert seinen Mandanten hingegen als Unschuldslamm. »Er war nie in irgendeinen Zusammenstoß mit Guerilleros verwickelt, kann also niemanden getötet haben. Auch hat er nie angeordnet, jemanden zu töten.« Laut Staatsanwaltschaft aber zeigen Militärdokumente, daß die Armee unter einer straffen Befehlskette operierte und Feldberichte bis an höchste Stellen weitergereicht wurden. Die Anklage stützt ihre Beschuldigungen auf 72 forensische Gutachten sowie elf militärische Berichte, aus denen hervorgeht, daß der frühere Regierungschef faktisch die Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen des Militärs angeordnet hat. Hinzu kommen mehr als hundert Zeugenaussagen von Überlebenden und Familienangehörigen der Opfer.

Nach mehr als einem Jahrzehnt erfolgloser Versuche, die Verantwortlichen zu belangen, wurden im vergangenen Jahr die ersten Prozesse gegen hochrangige Armeeoffiziere eröffnet, ohne daß es jedoch bislang zu Verurteilungen gekommen wäre. So befand ein Gericht im November, daß der frühere Armeegeneral Oscar Humberto Mejía, der unter Ríos Montt Verteidigungsminister gewesen war und nach dessen Sturz sein Nachfolger wurde, nicht verhandlungsfähig sei.

Ein möglicher Prozeß gegen Ríos Montt gilt auch als Test für den gerade erst vereidigten neuen Präsidenten Otto Pérez Molina. Dem früheren Armeegeneral werden ebenfalls Menschenrechtsverletzungen während der Zeit des Bürgerkrieges vorgeworfen. Die von ihm befehligte Einheit soll für Entführungen, Folter und Morde verantwortlich gewesen sein. Die Wahl am 6. November hatte er mit Law-and-Order-Rhetorik und der Ankündigung einer »Politik der harten Hand« gegen Drogen- und Bandengewalt gewonnen. Die Straflosigkeit solle ein Ende haben. Ob dies auch für die Militärs gilt, wird sich zeigen. Nach seiner Wahl hatte Pérez Molina der Generalstaatsanwaltschaft jedenfalls Unterstützung bei der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen versprochen.

* Aus: junge Welt, 28. Januar 2012


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