Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nachbarn des Goldes

Der Fluch des modernen Bergbaus in Guatemala

Von Andreas Boueke *

Die Preise für Rohstoffe ziehen an. Der Wert von Gold hat sich innerhalb kurzer Zeit verdoppelt. Immer mehr Entwicklungsländer setzen auf die Ausbeutung ihrer Bodenschätze. Großprojekte sollen Devisen bringen. Die Bewohner der Minengebiete werden nicht gefragt. Doch häufig übertreffen die sozialen und ökologischen Schäden des Bergbaus die möglichen Profite. In Guatemala organisieren sich zahlreiche Mayagemeinden in Opposition zu den Minenkonzernen, die in ihren Provinzen Gold abbauen. Sie sehen ihre Kultur bedroht und empfinden den Tagebau als eine Verletzung ihrer naturverbundenen Spiritualität.

Maiskörner kochen in einem Topf über der Feuerstelle. Daneben steht eine Handmühle. Aus dem gemahlenen Mais werden später Tortillas geformt, als Beilage für schwarze Bohnen und etwas Gemüse. Manchmal gibt es auch ein paar Eier zu essen. Doch das reicht nicht immer, um den Hunger der achtköpfigen Familie zu stillen. Beim Abendessen sitzen die Kinder auf einem alten, schmutzigen Lastwagenreifen, daneben die Großmutter auf einem wackeligen Holzschemel. Man könnte denken, die Zeit sei vor mehreren Jahrhunderten stehengeblieben.

Die meisten Hütten in den Bergen der Region San Marcos, im Westen von Guatemala, sehen ähnlich aus. Die Mauern aus Lehm sind mit weißem Kalkmörtel verputzt, der Boden ist die blanke Erde, das Dach besteht aus verrosteten Wellblechplatten. Aber alle paar Minuten erinnert das Dröhnen vorbeifahrender Lastwagen daran, daß die kleine Gemeinde Agel in der Nachbarschaft einer modernen Industrieanlage liegt, einer Goldmine.

Rosa Perez lebt seit Jahren in Agel. Sie spricht Mam, die Sprache der Mayabevölkerung dieser Region. Doch jetzt hat sie Angst. Sie fragt sich, wie lange ihre Hütte noch aushalten wird. Der Putz auf den Lehmblöcken ist auseinandergebrochen. Unter den Fenstern, über den Türen und durch die Wand des Plumpsklos pfeift der Wind. »Die Mine hat unser Leben völlig verändert«, erzählt Rosa Perez. »Sie hat uns viel Schaden zugefügt. Die häufigen Sprengungen des Gesteins und die Erschütterungen durch die vielen Lastwagen haben unsere Häuser kaputtgemacht. Überall sind Risse in den Wänden. Das ist gefährlich.«

Rosas Mann, Walter Perez, geht vor die Tür. Er legt seine Hand in einen der Risse. »Hier kann man sehen, wie der Putz von oben bis unten aufgebrochen ist, von innen nach außen«, erklärt er. »Noch ein kleiner Erdstoß mehr, und alles kommt runter, das ganze Dach.«

Wieder erzittert der Boden. Die Hütte wird eingehüllt in eine Wolke aus Staub und Abgasen. Der vorbeifahrende Lastwagen transportiert Schutt aus der größten Mine Guatemalas, die keine zwei Kilometer entfernt liegt. Das Gold wird mit Sprengungen aus der Erde geholt, mit großen Maschinen, Chemikalien und Hochtechnologie.

»Für uns war es nicht leicht, dieses Haus zu bauen«, erinnert sich Walter Perez. »Wir haben kein Geld. Es ist traurig, daß die Minengesellschaft gekommen ist und es zerstört.«

Bisher sind in Agel sechzig Hütten betroffen. Die Leute sagen, es gebe die Risse erst, seit die Minenfirma mit den Sprengungen begonnen hat. Anfangs waren alle paar Stunden Explosionen zu hören. Nach einigen Wochen hat das Unternehmen auf die ersten Beschwerden reagiert. Seitdem wird weniger potentes Dynamit eingesetzt. Doch noch immer ist bei jeder Explosion die Erschütterung zu spüren.

Zerstörung von Lebensraum

Der nächste größere Ort in der Nähe von Agel ist Sipacapa, ein kleines Handelszentrum in einer Gegend, für deren Bewohner die wichtigste Einkommensquelle die Landwirtschaft ist. Die meisten lokalen Autoritäten in Sipacapa bemühen sich darum, die Ruhe im Dorf zu bewahren. Aber immer mehr Menschen verlieren die Geduld. Javier de Leon aus dem Volk der Maya-Acateko fragt sich: »Wie ist es möglich, daß diese Konzerne die Rechte unserer Brüder mit Füßen treten? Sie wollen nicht anerkennen, daß wir Menschen sind. Sie behandeln uns, als ob wir nichts wert wären, wie irgendein Tier, ein Objekt. Sie trampeln auf uns herum. Das weckt Wut, aber nicht nur Wut, sondern Haß.«

Noch kann man in der Umgebung der Mine Marlin die Tiere des Waldes beobachten, dem Gesang der Vögel lauschen, bunte Käfer und Raupen betrachten. Im Hintergrund hört man die Geräusche des Dorflebens, Hähne krähen, Kinder spielen. Doch in dieses Hörbild mischen sich von Monat zu Monat mehr Laute der Mine – die von LKWs, die von großen Maschinen. Wo früher grüne Hügel waren, sind jetzt sandige Löcher. Ganze Höhenzüge wurden abgeholzt. Riesige Grundstücke sind mit Stacheldraht eingezäunt. Noch vor kurzem konnten sich die Menschen ungehindert bewegen. Heute treffen sie auf Grenzen mit bewaffnetem Sicherheitspersonal. Wo Gras und Pflanzen wuchsen, ist heute Staub oder Schlamm. Javier de Leon macht sich Sorgen um die Zukunft: »Einige Kameraden sagen: Wenn keine Lösung gefunden wird, wenn die Regierung uns nicht zuhört, wenn die Geschäftsführer der Firmen nicht auf die Vorschläge der Gemeinden reagieren, auf die Einwände der betroffenen Familien hier vor Ort, dann wird es zu drastischen Aktionen kommen. Und wir werden uns nicht verantwortlich fühlen, denn die Warnungen sind ausgesprochen, die Klagen auch. Dann ist es das Problem der Regierung. Wir werden nicht die Verantwortung übernehmen für die Dinge, die passieren können.«

In Guatemala wird erst seit wenigen Jahren moderner Bergbau betrieben. Oscar Rosales, der Direktor des für die Gruben zuständigen Bereichs im Energieministerium, hält diesen Industriezweig für einen Motor der nationalen Entwicklung: »Das Minenunternehmen in San Marcos bezahlt Lehrer und Gesundheitsstationen. Es baut Straßen. Früher waren die Menschen in diesen Gebieten ausgegrenzt. Jetzt geht es ihnen deutlich besser als zu der Zeit, als die Bergbauindustrie noch nicht dort war.«

Völlig anders sieht das die guatemaltekische Ökoaktivistin Magali Rey Rosa. Sie ist die wohl bekannteste Umweltschützerin Guatemalas. In ihrer Heimat gilt sie als »radikal«. Viele Leute bezeichnen sie als »Ökohysterikerin«. In Europa aber würden ihre Positionen wohl als »moderat« durchgehen. »Einige Leute sagen, ich sei grundsätzlich gegen den Bergbau«, erzählt Magali Rey Rosa. »Aber das stimmt nicht. Ich bin dagegen, daß Lebensräume unwiederbringlich zerstört werden. Ich bin dagegen, daß diese riesigen Löcher gegraben werden, um wenige Partikel Metall herauszuholen, obwohl es überhaupt nicht gebraucht wird.«

Gold wird vor allem in Schmuck verarbeitet. Etwa drei Viertel des jährlichen Goldverbrauchs werden für glitzernde Dekoration und schillernden Statusbeweis genutzt. Nur rund 13 Prozent werden zu Barren oder Münzen geschmolzen. Ein geringer Teil wird im Maschinenbau, bei Zahnbehandlungen und für Elektrogeräte verwendet.

Die Minenfirma Montana, ein Subunternehmen des kanadischen Metallgiganten Goldcorp, hat im Jahr 2004 im guatemaltekischen Hochland mit der Extraktion von Gold begonnen. Die Mine »Marlin« war das erste große, moderne Bergbauprojekt in diesem kleinen mittelamerikanischen Land. »Angeblich schafft die Mine 160 langfristige Arbeitsplätze«, sagt Magali Rey Rosa. »Aber sie wird deutlich mehr Bauern ihre Lebensgrundlage nehmen, weil die Wasserquellen zerstört werden. Schon jetzt, nur zwei Jahre nach Beginn des Abbaus, versiegen die Wasserquellen. Wie wird es dort erst in zehn, zwanzig Jahren aussehen?«

In der Gemeinde Agel verbraucht jede Familie durchschnittlich sechzig Liter Wasser am Tag. Die Umweltstudie der Firma Montana hat vorausgesagt, daß die Mine Marlin 250000 Liter Wasser verbrauchen wird – pro Stunde. Die Betreiber versprechen, achtzig Prozent des Wassers wiederzuverwerten. Aber niemand überprüft das.

Der Bauer Fernando Perez wohnt schon seit langem in Agel. Früher hat er sich Wasser aus nahe gelegenen natürlichen Quellen holen können. »Bis vor kurzem gab es hier sauberes Trinkwasser«, sagt er während eines Spaziergangs durch die Umgebung des Dorfes. »Jetzt wird es immer weniger. Es fließt nicht mehr. Wenn die Quellen ganz versiegen, gibt es für uns überhaupt kein Wasser mehr.«

Der kanadische Konzern Goldcorp bezeichnet sich in seinem Internetauftritt als das Bergbauunternehmen mit den weltweit niedrigsten Produktionskosten. Besonders effektiv ist die Kostenminimierung in Ländern wie Guatemala, wo Umweltauflagen und Beschäftigtenrechte sehr lax gehandhabt werden. So ist die »Marlin« in Guatemala zwar nicht die weltweit größte Mine von Goldcorp, aber doch sehr viel größer als jedes andere Projekt der Firma in ihrem Stammland Kanada oder in den USA. In Nordamerika wäre ein vergleichbares Projekt angesichts der dortigen strengen Schutzbestimmungen wohl nicht profitabel. In Guatemala aber kann die Firma ungestört ganze Berge abtragen. Daß auf dem Gebiet der »Marlin« jedes Jahr über fünfzig Millionen Tonnen Erde bewegt werden, hält der Bergbaubürokrat Oscar Rosales vom Energieministerium nicht für bedenklich. »Die Minen hier haben dasselbe Problem wie überall auf der Welt, aber insbesondere in Lateinamerika. Es gibt eine starke Opposition. Deshalb müssen die Unternehmer lernen, einen verantwortungsvollen Bergbau zu betreiben. Ihr Geschäft ist es, Mineralien zu fördern und zu verkaufen. Um das zu erreichen, bemühen sie sich um eine Verständigung mit den umliegenden Gemeinden. Sie können nicht einfach irgendwo anders hingehen, denn sie treffen überall auf dasselbe Problem, in Guatemala, in El Salvador, in Honduras, in Costa Rica.«

Längst hat sich in Guatemala eine Oppositionsbewegung gegen die Ansiedlung der Bergbauindustrie formiert. Javier de Leon erinnert daran, daß die europäischen Eroberer in den meisten Ländern des amerikanischen Kontinents ihr »Indianerproblem« schon vor langer Zeit gelöst haben: entweder durch die Ausrottung der Urbevölkerung oder durch ihre Eingliederung in die Kultur der Weißen. In dem kleinen Guatemala jedoch hat die Kultur der Maya ein halbes Jahrtausend gewaltsamer Unterdrückung überdauert. »Vor über fünfhundert Jahren sind die Spanier gekommen und haben die Gebiete der indigenen Bevölkerung Lateinamerikas gestohlen. Heute passiert dasselbe. Unterstützt von der neoliberalen Politik des Kapitalismus verletzen die transnationalen Konzerne die Rechte der Völker. Wir sind belogen worden. Anfangs haben sie uns gesagt, sie würden Studien durchführen und Gesteinsproben entnehmen. Sie haben aber nicht gesagt, daß hier eine Goldmine geplant war. Wir wußten nichts über die negativen Auswirkungen dieser Industrie.

In unserer Mayasprache hat die Erde einen Namen. Sie heißt Knan och. Das bedeutet Mutter Erde. Für unsere Kultur ist es wichtig, daß wir die Natur respektieren. Wer einen Baum fällt, der muß ihm erst erklären, warum es nützlich ist, ihn zu fällen. Aber den Bergbaufirmen mit ihren Megaprojekten ist unsere indigene Kultur völlig egal. Sie achten nicht auf das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur.«

Profitabel wie nie zuvor

Die Stimmen der Gegner des Goldbergbaus werden auch deshalb lauter, weil die Unternehmen immer größere Flächen zerstören. Fast ein Drittel der gesamten Weltproduktion an Gold sind im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte gefördert worden. Das Ergebnis ist recht überschaubar. Wenn man das gesamte bisher geförderte Gold schmelzen würde, ergäbe es einen Würfel, dessen Kantenlänge nicht mehr als zwanzig Meter betragen würde. Dafür sind weltweit ganze Landstriche zerstört worden. Riesige Wasserreservoire wurden mit Chemikalien vergiftet. Ähnliches befürchtet der Sprachwissenschaftler Mario Tema für seine Heimatregion Sipacapa. Er stammt aus dem kleinen Mayavolk der Sipacapenser, dessen rund 6 000 Angehörige vor dem Bau der Mine nicht nach ihrer Meinung gefragt worden sind. »Das Projekt wurde uns von der Regierung und dem Konzern aufgedrückt. Die Konzessionslizenzen wurden vergeben, ohne die Bevölkerung von Sipacapa um Erlaubnis zu bitten. Ich denke, all die Beamten dort oben ignorieren die Landrechte der Gemeinden. Oder sie glauben, sie seien uns überlegen und wüßten es besser. Oder sie verteidigen Wirtschaftsinteressen. Auf jeden Fall interessieren sie sich nicht für die Rechte der Bevölkerung. Sie argumentieren mit der Verfassung der Republik. Da steht geschrieben, der Bergbau sei von nationalem Interesse. Aber die Verfassung gibt auch den Menschen das Recht, ein besseres Leben einzufordern, eine gesunde Umwelt. Aber unsere Gesundheit interessiert die Leute in der Regierung nicht. Die wollen nur Geschäfte machen, mit den Konzernen.«

Schon immer hat die Jagd nach Gold Menschen in erbärmliches Leid gestürzt oder zu außergewöhnlichen Leistungen getrieben. Viele neue Dörfer und Städte waren Antworten auf den Ruf des Goldes. Jahre später blieben sie entvölkert zurück, weil die Bergbaukarawanen in andere Gebiete gezogen sind. Mario Tema fürchtet, daß der gegenwärtige Goldrausch eines Tages auch die Dörfer in Sipacapa zu verlassenen Geisterstätten machen wird: »Wir erwarten, daß die Effekte des Goldbergbaus hier in zwanzig, dreißig oder gar erst fünfzig Jahren zu spüren sein werden. Jetzt noch nicht so sehr. Doch die Firma sagt, es gebe keine Umweltverschmutzung. Sie verweist auf die Kühe, die auf den Feldern grasen. Aber die Umweltschäden werden erst viel später offensichtlich sein.«

Trotz der immensen sozialen und ökologischen Kosten des Goldbergbaus wird die Produktion in absehbarer Zeit nicht gedrosselt werden. Für die mächtigen Konzerne ist das Geschäft mit dem Gold so profitabel wie nie zuvor. Der Preis hat sich innerhalb von nur drei Jahren mehr als verdoppelt. Die Mine »Marlin« wird noch bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein operieren. In der kleinen Ortschaft Agel wissen die Menschen nicht, ob sie solange aushalten können.

In einer der Hütten legt eine junge Mutter schützend ihren Arm über das Baby an ihrer Seite. Die beiden liegen auf einem alten Bett aus Metall. Das Mädchen ist vor sieben Tagen zur Welt gekommen. Die junge Familie hat ihre Hütte erst vor vier Jahren gebaut. Trotzdem denkt sie darüber nach, die Gegend zu verlassen. Über dem Bett ist ein großer Riß in der Wand. »Natürlich haben wir Angst«, sagt die Mutter. »Ein kleines Erdbeben, und alles fällt auf uns drauf.«

* Aus: junge Welt, 11. Oktober 2008


Zurück zur Guatemala-Seite

Zurück zur Homepage