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Sozialdemokrat ohne Bart

Álvaro Colom wird neuer Präsident Guatemalas. Seine außenpolitische Linie könnte Mittelamerika beeinflussen. Kritische Töne von links

Von Harald Neuber *

Zum Abtritt bekam der letzte Präsident Guatemalas, Oscar Berger, die richtige Bühne geboten. Seine Abschiedsrede hielt der Rechtskonservative am Montagabend (14. Januar) in dem Nationaltheater von Guatemala-Stadt. Dann übergab er die Führung des mittelamerikanischen Landes an den Sozialdemokraten Álvaro Colom. Auf dem »Platz der Verfassung« im historischen Zentrum der Hauptstadt feierten Tausende Anhänger von dessen »Nationaler Einheit der Hoffnung« (UNE) die Amtsübergabe.

Wenige Stunden zuvor hatte Berger einen beschämenden Abgang hingelegt. Entgegen der protokollarischen Gepflogenheiten weigerte er sich, seinen letzten Regierungsbericht im Kongreß vorzutragen. Seine »zahlreichen Verpflichtungen« hinderten ihn daran, ließ der 61jährige unter Verweis auf die internationalen Gäste erklären. Die Entscheidung wurde im Land peinlich berührt aufgenommen. Denn 15 Staats- und Regierungschefs sowie Delegationen aus 70 Staaten -- soviel wie nie zuvor bei einer Amtsübergabe -- waren nicht nach Guatemala gekommen, um auf den Verlierer zu treffen. Sie kamen, um Colom ihre Ehre zu erweisen. Anwesend waren unter anderem die Präsidenten von Nicaragua, Panama, El Salvador, Mexiko, Venezuela, Brasilien, Ecuador und Kolumbien.

Coloms Amtsantritt wird im In- und Ausland als politische Kehrtwende aufgefaßt. Nicht nur, weil er als erster Staatschef seit 1966 keinen Oberlippenbart trägt. Das Verdienst des gemäßigten Linken ist es, die jahrzehntelange Herrschaft der autoritären Rechten beendet zu haben. Im Wahlkampf hatte er sich Anfang November vergangenen Jahres in einer Stichwahl gegen den ehemaligen General und mutmaßlichen Massenmörder Otto Pérez Molina durchsetzen können. Im guatemaltekischen Bürgerkrieg (1960--1996) soll Pérez Molinas Einheit für mehrere Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich gewesen sein. Im Wahlkampf hatte er im Falle seines Sieges einen verstärkten Einsatz der Armee im Inneren und die vermehrte Anwendung der Todesstrafe angekündigt.

Zwei Monate nach Pérez Molinas Niederlage wurde die Antrittsrede seines Widersachers am Montag mit Spannung erwartet. Lateinamerikanische Medien gehen davon aus, daß sich Guatemala unter seiner Präsidentschaft nun dem linken Staatenblock unter der Führung Venezuelas und Kubas annähern wird. Skeptisch äußerten sich indes linke Kommentatoren aus dem Land selbst. In dem Internetportal Rebelion.org hatte der guatemaltekische Autor Andrés Cabanas schon nach der ersten Wahlrunde im September vergangenen Jahres auf die extrem geringe Beteiligung beim Urnengang verwiesen. Stelle man sie in Rechnung, hätten sich gerade einmal knapp 16 Prozent der Wahlberechtigten für Colom entschieden, dessen Partei er mit der US-amerikanischen Opposition verglich: »Die Programmatik der UNE hat mehr mit den Demokraten in den USA gemein als mit der klassischen europäischen Sozialdemokratie«, schrieb Cabanas.

Zugleich warnte der linke Journalist vor der Gefahr einer Zwei-Parteien-Herrschaft von UNE und der ultrarechten »Patriotischen Partei«, für die Pérez Molina angetreten war. Ein solches System würde die revolutionäre Linke ausgrenzen, die nach dem Abschluß der Friedensverhandlungen 1996 unter anderem in der Partei URNG politisch aktiv wurde, und das liege im Interesse der USA.

* Aus: junge Welt, 15. Januar 2008


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