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Indigene Völker wehren sich gegen "Naturschutzgebiete"

In Guatemala und Ecuador werden die Interessen der Indígenas häufig übergangen

Von Torge Löding (Voces Nuestras), San José *

Der Zusammenschluss »Encuentro Campesino« organisiert zahlreiche Gemeinden der Q'eqchi'-Indígenas in Guatemalas Provinz Izabal. Sie wehren sich dagegen, »westliche Konzepte« aufgedrückt zu bekommen. Dasselbe gilt für die Kichwa-Föderation FICI in Ecuador.

»Wir wollen keine sogenannten Naturschützer in unserem Territorium. Wir fordern, dass sich die Vertreter staatlichen Umweltbehörden und von Nichtregierungsorganisationen aus unserem Gebiet zurückziehen.« Mit klaren Worten wenden sich Santiago und die anderen Aktivisten von »Encuentro Campesino« (EC) gegen die westliche Idee von »Naturschutzgebieten«. Ihre Erfahrungen mit »Naturschützern« sind schlecht und sie fühlen sich als Opfer einer Vertreibungspolitik aus dem Land ihrer Vorfahren durch die Einrichtung von Schutzgebieten. Deshalb kritisieren sie auch den Plan der EU-Gebernationen, auf dem UN-Weltklimagipfel im Oktober in Japan große Summen in das weltweite System von Naturparks zu investieren.

Die indigenen Aktivisten müssen in Guatemala um Leib, Leben und Freiheit fürchten. Nicht ganz so schlimm stellt sich die politische Realität in anderen Ländern dar. Die Probleme ähneln sich dennoch, zum Beispiel auch in Ecuador unter der Regierung des Progressiven Rafael Correa. In der 2008 verabschiedeten Verfassung wurden weitreichende Rechte für die indigene Bevölkerung festgeschrieben. Die indigenen Völker in der Provinz Imbabura im gebirgigen Norden des Landes (Grenze zu Kolumbien) kritisieren, dass dem geschriebenen Wort keine Taten folgen. Sie fühlen sich in ihrer traditionellen Lebensweise bedroht. Bedroht fühlen sie sich unter anderem von Unternehmen, welche interessiert daran sind, sich das Land anzueignen, um Zugriff auf Wasser und Bodenschätze zu haben. Dabei ist das Wasserproblem von zentraler Bedeutung, auch aufgrund des demografischen Wachstums.

Die Mojanda-Lagune und der Paramo versorgen die gesamte Region mit Wasser. Die Wasserversorgung wird aufgrund nicht nachhaltiger Bewirtschaftung des Paramo, Abholzung, Verbrennung des Grases und anderer Faktoren strategisch gefährdet. Und je weiter sich die landwirtschaftlich bewirtschaftete Fläche bergauf ausdehnt, desto mehr gehen Wasserquellen verloren.

Rund 70 Prozent des Landbesitzes in Ecuador sind nicht mit formalen Landtiteln dokumentiert. »In den meisten Gemeinden gibt es damit aber kein Problem, denn unter den Familien ist bekannt und wird akzeptiert, wer welches Land bewirtschaftet und es gibt darum keinen Konflikt. Aber die Gemeindeverwaltung lehnt diese Art der Eigentumsverwaltung ab und da die meisten Indígenas keine Landtitel haben, kommt es immer wieder vor, dass sie Titel an Leute von außerhalb vergibt und dann kommt es zum Konflikt«, berichtete Benjamin Inuca, Aktivist der Kichwa-Föderation FICI.

In einer gemeinsamen Anordnung der Kantone Pedro Moncayo und Otavalo wurde in Mojanda ein Schutzgebiet geschaffen. Damit sind FICI und zahlreiche andere indigene Organisationen indes nicht einverstanden, denn die Anordnung schafft ein von staatlichen Organen verwaltetes Schutzgebiete, ohne die örtlichen Vertreter einzubeziehen. In diesem Schutzgebiet ist es nicht erlaubt zu siedeln, dabei ignoriert die Verordnung die Tatsache, dass die Zone teilweise bevölkert ist. Kritiker verweisen darauf, dass die Schutzgebiete zumeist mit den Gebieten übereinstimmen, in denen sich die meisten Bodenschätze befinden und damit ein Werkzeug schaffen, welches dazu dient, um die indigene Bevölkerung zu vertreiben und die Bodenschätze zu kontrollieren.

Im Fall von Livingston, der Küstenregion am Atlantik in Guatemalas Provinz Izabal, ist besonders deutlich zu erkennen, wie die indigene Bevölkerung von vornherein nicht einbezogen wurde: Die »Erfinder« dieser Umweltgesetzgebung erklärten nach der Erhebung technischer Daten und Satellitenbilder schlicht die »grünsten« Gebiete zu Naturschutzgebieten. Aber genau dort, wo die Wälder noch intakt waren, befinden sich die indigenen Gemeinden. Das ist aus Sicht der Indigenen kein Zufall, beinhaltet ihre Weltanschauung doch den harmonischen Umgang mit »Mutter Natur«. Die Q'eqchi' in der Provinz Izabal leben zwischen Bäumen im Wald, fällen diese nicht im großen Stil, sondern pflegen die natürliche Umgebung, von der sie leben.

Der Grund für das Ignorieren ihrer Anwesenheit in der Region zum Zeitpunkt der Gründung von Schutzgebieten ist vor allem in dem Rassismus zu finden, der in der guatemaltekischen Gesellschaft fest verankert ist und auch von der Naturschutzbewegung nicht Halt macht. Mit der Gesetzgebung für Schutzgebiete wurde eine »Superposition« geschaffen, welche die teilweise begonnene Vergabe von Landtiteln an Gemeinden durch das Nationale Agrartransformationsinstitut wieder zurücknahm. Gleichzeitig wurden Fincas zugunsten des Staates und nationaler Nichtregierungsorganisationen zugeteilt. Im theoretischen Diskurs wurden die Schutzgebiete geschaffen, um die Ausweitung der Landwirtschaft zu verhindern, faktisch wurde aber ein Werkzeug im Disput um Territorien, deren Kontrolle sowie Nutzung der natürlichen Ressourcen geschaffen.

»Wir hoffen, dass unsere Stimme auch auf internationaler Ebene gehört wird. Wir haben Antworten auf die von der westlich-kapitalistischen Ideologie verursachte ökologische und spirituelle Krise. Diese möchten wir zur Diskussion stellen und nicht gewaltsam von den Mächtigen zur Übernahme ihrer Konzepte gezwungen werden«, sagt Santiago aus Livingston. In Japan beim UN-Weltklimagipfel wollen sie sich dafür Gehör verschaffen. Einfach wird das nicht werden.

* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2010


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