Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vom Guerillero zum Kaffeefarmer

Santa Anita in Guatemala: 35 Mitglieder der ehemals bewaffneten Organisation URNG erfüllten sich den Traum vom Leben auf eigenem Land. Doch die Probleme sind vielfältig

Von Darius Ossami *

Es ist Regenzeit in Santa Anita La Union, einem Fleckchen Erde südlich von Guatemalas zweitgrößter Stadt ­Quetzaltenango. Seit elf Jahren leben hier ehemalige Mitglieder der Guerilla mit ihren Familien; insgesamt 180 Menschen – und ich war tief beeindruckt von dem Projekt und der Freundlichkeit der Bewohner, als ich vor vier Jahren zum ersten Mal hier war; und umso gespannter, was sich zwischenzeitlich getan hatte.

Einer der ehemals bewaffnet Kämpfenden ist Rigoberto, der noch heute seinen militärischen Decknamen »Sergio« benutzt. Sergio ist ein untersetzter Mann, hat vielleicht so sechs Jahrzehnte auf dem Buckel und besitzt einen schier unerschütterlichen Optimismus. Er schloß sich bereits in den sechziger Jahren der Guerilla an und war 1967 Mitbegründer der ORPA (Organisación Revolucionaria del Pueblo en Armas). 1982, auf dem Höhepunkt des guatemaltekischen Bürgerkrieges, fusionierte die ORPA mit den drei anderen Guerillaorganisationen zur URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca).

Insgesamt 36 Jahre lang tobte der Bürgerkrieg, dann trat Anfang 1996 ein Friedensvertrag in Kraft. Die Guerilleros gaben ihre Waffen ab, die meisten gingen in ihre Heimatregionen zurück. Andere hatten diese Möglichkeit nicht. »Wir waren eine Gruppe von ehemaligen Kämpfern, die nicht wußten, wohin sie gehen sollten«, erinnert sich Rigoberto alias Comandante Sergio. »Es war sehr gefährlich, dahin zurückzukehren, wo man herkam. Viele Gemeinden waren zudem vom Militär zerstört worden.« Nun lag »der Weg des bewaffneten Kampfes hinter uns« – ein neuer Lebensabschnitt mußte beginnen.

Euphorischer Neuanfang

Teil des Friedensvertrages war ein von der Regierung eingerichteter Landvergabefonds. Die Gruppe der Exguerilleros erhielt einen Kredit von zwei Millionen Quetzales (etwa 200000 Euro), von dem sie eine verlassene alte Kaffeefarm kaufen konnte. Die damit verbundene Auflage besagte, daß ab 1997 innerhalb von zehn Jahren die Schulden an den Fonds zurückgezahlt werden. Am 12. Februar 1998 wurde die neue Gemeinde gegründet, mit Hilfe des Roten Kreuzes entstanden Häuser, und zwei Jahre harter Arbeit sorgten dafür, daß die 21 Quadratkilometer nutzbares Land, die Wasser- und Stromversorgung sowie die Abwasserleitungen wieder hergerichtet waren – ein euphorischer Neuanfang. Dem folgten dann die Probleme.

Viele der Bauern können weder lesen noch schreiben; ihre Schule war die Zeit bei der Guerilla in den Bergen. Das sagt zumindest Maria Alvarado, eine resolute Mittfünfzigerin. Sie hatte schon in ihrer Jugend auf einer Kaffeefarm gearbeitet, später zusammen mit ihrem Mann. Eines Tages, erzählt sie, kamen Leute und erklärten ihnen, was im Land los war, erzählten vom Kampf und luden sie ein mitzumachen. Maria und ihr Mann ließen sich überzeugen und besuchten die Guerilleros in den Bergen. »Zuerst war ich erschrocken, als wir das Guerillacamp betraten«, erinnert sich Maria. »Jeder trug grüne Kleidung und Waffen. Ich war sehr schüchtern, denn ich kannte niemanden und wußte nichts über das Leben bei der Guerilla. Zudem war ich die erste Frau in der Einheit.« Doch sie entschieden sich zu bleiben, und da Frauen als gleichberechtigt galten, wurde Maria bald selbstsicherer.

Zunächst wurden die Plantagen gemeinsam bewirtschaftet. Doch die alten Kaffeepflanzen erwiesen sich als nicht mehr besonders ertragreich, und für Neuanschaffungen fehlte das Geld. Zudem vernichtete der Hurrikan »Stan« im Herbst 2005 einen großen Teil der Pflanzungen. Die Folge: Einige Bewohner mußten die Finca verlassen, um woanders Arbeit zu suchen. Selbst der Gemeindevorstand zeigte sich immer seltener im Dorf und zog in die ferne Hauptstadt. Auch Unkenntnis mit den Besonderheiten der Kaffeepflanzen, wenig Ahnung von Buchführung oder Verwaltung und fehlgeschlagene Projekte wie der Handel mit Wachteleiern führten dazu, daß der Kredit für die Farm bis heute nicht zurückgezahlt werden konnte. »Wir sind immer noch dabei, zu überleben«, sagt Sergio. »Aber wir schaffen es, indem wir arbeiten, und nicht indem wir jammern.«

Rütteln und rösten

Arbeit gibt es mehr als genug, denn der Kaffeeanbau ist ein langwieriges Unterfangen. Der Großteil wird per Hand erledigt, weder Dünger noch Chemikalien werden verwendet. In einem Zeitraum von drei Monaten werden die Kaffeefrüchte gepflückt, gewaschen, geschält und getrocknet und dann, um ihre Qualität zu bewerten, in eine Nachbargemeinde gebracht: Eine alte Maschine aus Hamburg rüttelt dort die Bohnen solange, bis sie, je nach Gewicht, in die Fächer eins, zwei oder drei rutschen. Danach beginnt die Röstung, für die das Dorf immerhin eine eigene Maschine besitzt. Heraus kommt lupenreiner Ökokaffee. Es duftet herrlich, doch – Finger weg! – der Kaffee Klasse eins ist ausschließlich für den Verkauf bestimmt.

Inzwischen wurde der Gemeindevorstand ausgewechselt und das Land aufgeteilt, so daß nun jede Familie für ihre eigene Parzelle zuständig ist. Zwar haben sich die Ernteerträge seit der Hurrikankatastrophe fast verdoppelt, doch reicht der Erlös gerade mal, um die laufenden Kosten zu decken. An eine Rückzahlung des Kredits ist nicht zu denken, und solange die Schulden nicht bezahlt sind, kann das Dorf auch keinen neuen Kredit für notwendige Anschaffungen aufnehmen. Zudem besteht dauerhaft die Gefahr, daß die Plantagen zwangsversteigert werden.

Die kleine Familie von Companera Vilma hat Angst davor, ihre Lebensgrundlage zu verlieren: »Das größte Problem sind die Schulden«, sagt Vilma. »Wir sind nicht in der Lage, die Finca abzuzahlen, weil die Schulden zu hoch sind. Wir haben nicht genug Kaffee. Einige Familien, die etwas Geld besitzen, haben neue Pflanzen. Das können wir uns nicht leisten. Man muß schließlich drei Jahre warten, bis sie Früchte tragen.«

Nun versuchen die Einwohner von Santa Anita La Unión, noch auf andere Weise Geld zu verdienen. Vor vier Jahren öffneten sie ihre Finca für Ökotouristen. Das ehemalige Herrenhaus wurde als Hostel hergerichtet und bietet Platz für 25 Personen. Wer möchte, kann eine Besichtigungstour buchen, die zu den einzelnen Stationen der Kaffeeproduktion führt; oder das malerische Gelände bis hinunter zu den Wasserfällen besichtigen. Gegessen wird bei den Familien. Man kann sich auch einen Vortrag über die Geschichte der Farm anhören oder beim Kaffeepflücken helfen.

Der erste Besuch

Vor vier Jahren war ich einer der ersten Besucher. Kinder winkten mir zu und fragten ständig nach meinem Namen. Damals führte mich Vilma durch den Wald und erzählte, wie sie sich einst in den Bergen vor den Patrouillen der Militärs versteckt hielt. Die Frau hat eine bewegte Vergangenheit. Sie schloß sich der Guerilla an, um für mehr Gerechtigkeit in Guatemala zu kämpfen. Nach acht Jahren wurde sie schwanger und flüchtete nach Mexiko. Ihr damaliger Freund starb im Kampf. Heute lebt sie mit ihrem neuen Gefährten Roberto in Santa Anita La Union und wirkt wenig redefreudig.

Vilma arbeitet verbissen. Zusammen mit Roberto und ihrer Tochter pflückt sie Kaffee, obwohl es schon wieder nach Regen aussieht. Da auch ihre Familie keine Rücklagen hat, ist sie gezwungen, an die Coyotes, die Zwischenhändler, zu verkaufen. Das bedeutet weniger Einnahmen, aber dafür gibt es das Geld sofort auf die Hand. Dennoch ist ihre Einsatzbereitschaft ungebrochen. Die Kraft geben ihr vor allem die beiden Töchter, die große ist schon 17. »Der Kampf geht weiter«, erklärt Vilma, »vielleicht nicht mit der Waffe, aber mit Politik.« Sie hofft, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, daß sie studieren können und Arbeit finden.

Zwar ist nach vier Jahren Ökotourismus auch hier Ernüchterung eingekehrt, denn die Finca liegt abseits der ausgetretenen Travellerpfade. Die Besucherzahlen stagnieren, der erhoffte Geldsegen blieb aus. Dennoch möchte Sergio das Tourismusprojekt weiterführen. Die Leute sollen herkommen, so Sergio, um von den Problemen zu erfahren, mit denen die Gemeinden leben. Sie sollen das Leben der Bauern, die Kaffeeproduktion und den Bananenanbau kennenlernen. Und sie sollen von der Anstrengung, Mühe und Arbeit erfahren, die in einer Tasse von dem schwarzen Getränk stecken. Sergio hofft, daß die Besucher dadurch lernen, die Welt mit anderen Augen zu sehen, und daß sie diese neue Sicht mit in ihre Welt tragen.

Paul ist einer, bei dem das schon geklappt hat. Außer mir ist er derzeit der einzige Besucher und schon seit fünf Wochen dort. Er gehört zu jenen begeisterten Freiwilligen, von denen sich die Familien in Santa Anita Dutzende wünschen würden. Paul hat Kaffee gepflückt, verlesen, geröstet, in der Schule mitgearbeitet und in Quetzaltenango Werbung für das Projekt gemacht. Gerade gibt er einigen interessierten jungen Frauen Nachhilfeunterricht in englisch. Nebenbei machte er Interviews für sein Ethnologiestudium.

Regen und Erdbeben

Wenn Paul nach Hause zurückkehrt, wo er weiter studiert, will er Geld sammeln für Santa Anita. Daran fehlt es am stärksten. Er hofft, daß die Menschen des Dorfes zwischenzeitlich ihre Probleme überwinden können und den Mut nicht verlieren. »Ich gehe froh, bin zuversichtlich und werde Santa Anita nie vergessen«, sagt Paul und lacht. Während wir miteinander sprechen, bebt die Erde und der Regen prasselt aufs Wellblechdach. Doch die Probleme sind weder der Regen noch die Erdbeben, die hier zum Alltag gehören.

Was den Menschen von Santa Anita La Union bleibt, ist Hoffnung. Zum Beispiel darauf, daß ihr frisch gewählter Gemeindevorstand verantwortungsvoller handelt. Investitionen wie das Gästehaus und die Kaffeerösterei haben den Wert der Finca um ein Vielfaches erhöht. Ein Argument, das in den Augen der Anwälte gegen einen Zwangsverkauf spricht. Die meisten Fortschritte wurden aus eigener Kraft erreicht, wie Sergio stolz erklärt, aber auch durch die Hilfe von Freiwilligen und durch Kredite von Fair-Trade-Organisationen aus den USA. Die Gemeinde kann die Schulden jedes Jahr mit den Ernteeinnahmen bedienen.

Hoffnung auf Handel

Die größten Hoffnungen liegen auf fair gehandelte Exportkaffee, der einen wesentlich besseren Preis bringt, obwohl … – derzeit ist schwer absehbar, wie sich die Wirtschaftskrise auf den »fair trade« auswirkt. Die Verhandlungen mit Organisationen wie Corporate Coffee, die den handverlesenen Ökokaffee aus Santa Anita in den USA vertreiben und auch weitere Kredite für notwendige Investitionen vorstrecken wollen, laufen noch.

Trotz aller Schwierigkeiten sind Vilma, Sergio und allen anderen ihr großes Selbstbewußtsein und der Stolz auf das im Leben Erreichte anzusehen. Sie hatten mit der Waffe in der Hand für ihre Ideale gekämpft, und sie bereuen nicht, die Waffen abgegeben zu haben. Auch als Bauern bleiben sie politisch nicht untätig, helfen anderen Kooperativen, Probleme zu vermeiden. Und noch immer versuchen sie, Guatemala zu verändern, denn sie sind sich einig, daß sich seit dem Friedensschluß nichts grundsätzlich geändert hat. Sergio koordiniert eine Organisation von Opfern des Bürgerkrieges, und gerade nahmen sie an einer Demonstration von 15000 Menschen »gegen das Vergessen« teil. Die Gemeinde ist immer noch Teil der URNG, die heute eine kleine, politisch aber chancenlose Partei ist. »Die Leute von Santa Anita haben jetzt gelernt, daß die Zukunft nicht nur in einem Stück Land liegt, sondern in der Erziehung der Kinder«, erklärt Sergio zum Abschied. Wie so oft regnet es.

Links:
  • www.voiceofamountain.com
  • www.santaanitafinca.com

* Aus: junge Welt, 21. Februar 2009


Zurück zur Guatemala-Seite

Zurück zur Homepage