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Eklat um Prozess gegen Ríos Montt

Verfahren gegen Guatemalas ehemaligen Juntachef vorläufig annulliert

Von Markus Plate, San José *

Guatemalas ehemaliger Staatschef Efraín Ríos Montt ist angeklagt, für den Tod von 1771 Angehörigen der Maya-Volksgruppe der Ixil direkt verantwortlich zu sein. Zudem werden ihm Tausende Fälle von Vertreibung und Folter zur Last gelegt. Der Prozess gegen Ríos Montt, erst im März begonnen, ist jedoch in der vergangenen Woche ins Stocken geraten.

Am vergangenen Donnerstag entschied Richterin Carol Patricia Flores, den Prozess gegen Efraín Ríos Montt, der im März 1982 durch einen Putsch an die Macht gelangt war und bis August 1983 regierte, und seinen damaligen Geheimdienstchef General José Mauricio Rodríguez Sánchez zu annullieren. Der Stand des Verfahrens soll auf November 2011 zurückgesetzt werden. Damals wurde darüber verhandelt, ob Ríos Montt - inzwischen 86 Jahre alt - überhaupt vor Gericht gestellt wird oder nicht. Alle seither erhobenen Beweise seien damit nichtig, erklärte Flores. Für die Opfer der Gräueltaten, die im Prozess oft unter Tränen ausgesagt hatten, ist das ein Schlag ins Gesicht.

Die Richterin berief sich auf eine Anordnung des Verfassungsgerichts, das anhängige Verfassungsbeschwerden geltend gemacht habe. Die Verteidiger des ehemaligen Juntachefs hatten sich zuvor beschwert, weil sie vor Beginn der mündlichen Verhandlung weitere Beweise aufnehmen wollten. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das guatemaltekische Menschenrechtszentrum CALDH als Opfervertreter und selbst das Sondertribunal, vor dem der Fall bisher verhandelt wurde, haben beim Verfassungsgericht und beim Obersten Gerichtshof Guatemalas Rechtsmittel gegen die Entscheidung von Richterin Flores eingelegt. Den höchsten Gerichten obliegt es nun, darüber zu befinden, wie es mit dem Prozess gegen die ehemaligen Militärs weitergeht.

Menschenrechtsorganisationen wie Impunity Watch kritisierten, die Annullierung des Verfahrens widerspreche nicht nur dem Recht der Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf Zugang zur Justiz, sondern sei darüber hinaus ein Besorgnis erregendes Zeichen für die Anfälligkeit der guatemaltekischen Justiz und den Unwillen des Staates, gegen die Straflosigkeit im Land vorzugehen. Iduvina Hernández, Mitglied der Einheit der Menschenrechtsverteidiger Guatemalas, kündigte Demonstrationen für die Wiederaufnahme des Prozesses an.

Das Verfahren gegen Ríos Montt galt als Novum in der Geschichte des Völkerrechts: Zum ersten Mal wurde einem ehemaligen Staatschef nach den Gesetzen des eigenen Landes der Prozess wegen Völkermords gemacht. Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen während des Bürgerkrieges in Guatemala, dem zwischen 1960 und 1996 über 200 000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen und der unter der Militärdiktatur Efraín Ríos Montts 1982/83 seinen blutigen Höhepunkt erreichte, hatte erst in jüngster Vergangenheit entscheidende Fortschritte gemacht. Ríos Montt genoss als Abgeordneter, zeitweise sogar als Präsident des Parlaments über ein Jahrzehnt lang Immunität. Erst nach dem Ende seiner politischen Laufbahn wurde eine Verfolgung des ehemaligen Juntachefs möglich.

Francisco Dall’Anese, Vorsitzender der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG), nannte die Entscheidung von Richterin Flores »absolut illegal«, sie sei »von galaktischer Absonderlichkeit«. Die Juristin besitze keinerlei Kompetenz, Prozesse vor hohen Gerichten zu kassieren. Dall’Anese erinnerte daran, dass seine Kommission bereits seit geraumer Zeit gegen Carol Patricia Flores wegen Amtsanmaßung und Amtsmissbrauchs ermittle. Der CICIG-Vorsitzende kritisierte zugleich ganzseitige Anzeigen in guatemaltekischen Zeitungen, in denen »Figuren, die in anderen Momenten die Fahne der Menschenrechte hissten und das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft genossen«, vor einem Wiederaufflammen der politischen Gewalt im Lande warnen, falls die laufenden Strafprozesse mit Verurteilungen wegen Völkermords enden. Zu den Unterzeichnern dieser Warnung gehören Eduardo Stein, ehemaliger Außenminister und Vizepräsident Guatemalas, Gustavo Porras, der 1996 die Friedensabkommen mit der Guerilla auf Regierungsseite abschloss, aber auch ehemalige Angehörige der Guerilla. In ihrer Erklärung mit dem Titel »Den Frieden verraten und Guatemala spalten« bestreiten sie, dass es im Lande einen Völkermord gegeben hat. Sie räumen allerdings ein, dass es während des bewaffneten Konflikts schwere Gräueltaten gab, und anerkennen das Recht der Opfer darauf, dass die Täter vor Gericht gestellt werden.

Die These, dass es in Guatemala keinen Völkermord gab, ist nicht neu. Auch der amtierende Präsident Otto Pérez Molina, ein ehemaliger General, vertritt sie. Ebenso all jene, die ihre Hände zu Diktaturzeiten mit Blut befleckt haben. Dass sich Stein, Porras und andere hinter diese These stellen, hat in Guatemala Putschängste hervorgerufen. War es also eine ernst zu nehmende Warnung an die Justiz und die guatemaltekische Gesellschaft, der Richterin Carol Patricia Flores »zum Wohle der Nation« gefolgt ist? Menschenrechtsverteidiger sehen in den Ereignissen der vergangenen Woche eher einen Beweis dafür, dass die Rechte in Guatemala und alle, die von der Straflosigkeit profitieren, schwere Geschütze auffahren, um die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit zumindest zu verzögern.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. April 2013

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