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"Die Xinka gelten als ein sterbendes Volk"

Lorena Cabnal über indigenen Überlebenskampf und Widerstand in Guatemala


Lorena Cabnal ist Vertreterin des "Vereins der indigenen Frauen aus Santa María Xalapán (AMISMAXAJ) in Guatemala. Die 38-Jährige gehört dem Volk der Xinka an, welches in Guatemala, aber auch in den Nachbarländern lebt und dessen Geschichte bisher sehr wenig erforscht ist. Das soll sich ändern und gleichzeitig treten die Frauen für die Rechte ihres Volkes ein. Mit Cabnal sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Knut Henkel.

ND: 1996 wurde in den Friedensverträgen zwischen der Regierung und der Guerilla auch vereinbart, dass die Rechte der Minderheiten und der indigenen Bevölkerung gestärkt werden sollen. Wie ist es 14 Jahre später um diese Rechte bestellt?

Cabnal: Es steht nicht zum Besten und das Volk der Xinka ist dafür ein recht gutes Beispiel, denn es wird in den Friedensverträgen ausdrücklich erwähnt, aber geändert hat sich kaum etwas. Die Xinka gelten als ein sterbendes Volk und genau deshalb ist es wichtig unsere Kultur wiederzubeleben und zu fördern. Das wird jedoch trotz des Friedensvertrages, wo entsprechende Vereinbarungen fixiert sind, nicht getan. Laut den nationalen Statistischen Behörden gibt es in Guatemala 16 700 Xinkas, doch die Realität sieht anders aus.

Gibt es mehr Xinka als in den Statistiken verzeichnet?

Mit Sicherheit, denn unsere Recherchen haben ergeben, dass es rund 85 000 Xinka gibt. Wir haben mittlerweile begonnen, auf uns und unsere Rechte aufmerksam zu machen.

Wie ist es dazu gekommen?

Unser Bewusstsein für die eigene Identität ist heute deutlich ausgeprägter als früher. Wir Frauen haben begonnen, uns zu organisieren, mit den lokalen Politikern zu sprechen, sie aufgefordert, uns zu erklären, was sie für die Rechte der indigenen Minderheit und der Frauen tun. Da haben wir lange Gesichter geerntet und es gab einen Gouverneur, der rundweg die Existenz von indianischen Gemeinden verneinte. Das hat dazu geführt, dass wir umso energischer für unsere Rechte eintreten.

Wie reagiert die Regierung auf die neuen Töne aus den indigenen Gemeinden? Schließlich machen die Xinka-Frauen auch gegen den Bergbau in der Region mobil?

Es gibt insgesamt 31 Bergbaulizenzen in der Region und die wurden ohne die Konsultation der Gemeinden bewilligt, was den internationalen Normen widerspricht. Fünfzehn dieser Lizenzen sind bereits für die Ausbeutung erteilt worden, der Rest befindet sich in weit fortgeschrittenem Stadium. Dagegen wehren wir uns, haben Unterschriften gesammelt, demonstriert und dadurch auch Aufmerksamkeit erzeugt, denn wir wollen keinen Bergbau in unserer Region. Das ist eine Form der Gewalt gegen Mutter Erde. Wir wollen in einem natürlichen Gleichgewicht mit der Natur und dem Kosmos leben.

Das scheint die Bergbau-Unternehmen allerdings nicht zu interessieren. Es wird auch mit Konzessionen gehandelt, oder?

Das ist richtig, denn am 27. Mai 2010 hat das kanadische Unternehmen Goldcorp ihre Konzession für den Silberabbau an die Mine Escobal für etliche Millionen US-Dollar verkauft. Es wird immer wieder behauptet, dass der Bergbau der Region Entwicklung bringe, dass wir Schulen bekommen, doch dass das Trinkwasser verschmutzt wird, dass die Leute krank werden, davon ist nie die Rede. Auf diese andere Seite des Bergbaus haben wir in den Gemeinden, in den Räten aufmerksam gemacht.

Sie und Ihre Organisation haben Drohungen erhalten - sind die nach diesen Aktionen eingegangen oder zuvor?

Wir haben uns dafür ausgesprochen unsere Landrechte zu verteidigen, haben die Leute in den Dörfern sensibilisiert, haben 20 000 Unterschriften gesammelt, uns an den Kongress und den Präsidenten gewendet und demonstriert. Das hat dazu geführt, dass wir endlich Informationen zu den Konzessionen erhielten und danach kamen die Drohungen. Daraufhin haben wir uns nach Partnern umgeschaut, um unsere Sicherheit zu verbessern und sind mit den internationalen Friedensbrigaden (PBI) in Kontakt gekommen. Die begleiten uns nun zu Terminen und bei Aktionen.

Gibt es weitere Regionen, wo es in Guatemala Bergbaukonflikte gibt?

Ja, ein bekannter Fall ist die Marlin Mine in San Marcos, die von dem kanadischen Konzern Goldcorp betrieben wird. Dort gibt es seit Jahren Widerstand, der auch von Seiten der katholischen Kirche unterstützt wird und wir stehen im Kontakt zu den Organisationen dort. Man kann in der Region sehr gut studieren, welche Folgen der Bergbau hat. Dort wird im offenen Tagebau gefördert, die Sprengungen haben Häuser beschädigt, die Chemikalien das Trinkwasser verunreinigt und es hat Angriffe und Attentate auf Aktivisten gegeben.

Hat der Widerstand ihrer Frauenorganisation gegen den Bergbau etwas an den patriachalen Strukturen geändert?

Oh ja, denn eine Frauenorganisation stellt diese Strukturen schließlich in Frage. Als wir uns 2003 gründeten, war der Machismo in den Gemeinden so dominant, dass wir Frauen kaum das Recht hatten das Haus zu verlassen und uns zu treffen. Wir haben es unter dem Vorwand getan Grabschmuck herzustellen. Das ist in einigen Gemeinden immer noch so, in anderen ist es nicht mehr nötig.

Welche Rolle spielt Ihre "Schule der Frauen" dabei?

Wir versuchen den Frauen Alternativen aufzuzeigen. Es muss nicht sein, dass die Frauen siebzehn und mehr Kinder gebären, es gibt Verhütungsmittel und Frau kann sich wehren gegen die häusliche Gewalt.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2011


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