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Es ist Zeit, den Dialog zu suchen

Ex-Guerillero Gustavo Meoño will den Bürgerkrieg in Guatemala aufarbeiten *


In Guatemala soll auf dem Gelände des Historischen Polizeiarchivs (AHPN) eine Gedenkstätte und ein Ort des Dialogs errichtet werden, um die Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg von 1960-1996 zu befördern. Dem Direktor und Ex-Guerilla-Kommandant Gustavo Meoño stehen ein ehemaliger General, Unternehmer und Intellektuelle des Landes zur Seite, um der Wahrheit über die Vergangenheit einen Raum zu schaffen. Mit Meoño sprach Kathrin Zeiske.


Herr Meoño, die Entdeckung des vormals geheimen Polizeiarchivs im Jahr 2005 war ein Meilenstein der Vergangenheitsaufarbeitung in Guatemala. Wozu braucht es nun eine Gedenkstätte?

Alle archivarischen Bemühungen bleiben unvollständig, wenn die Bevölkerung keinen unmittelbaren Zugang zu den Informationen hat. In dem Aktenmaterial aus 80 Millionen Schriftstücken befinden sich aussagekräftige Unterlagen über unzählige Fälle von Folter und Verschwindenlassen in den 80er Jahren – der dunkelsten Zeit des Bürgerkrieges. Doch erst wenn diese Wahrheiten zum Allgemeinwissen in der Bevölkerung werden, ist unsere Arbeit getan. Diesem Bestreben soll durch die Schaffung einer Gedenkstätte nachgekommen werden, der die historische Erinnerung einen Ort erhält – damit es in Guatemala nie wieder zu einem Genozid kommt.

Spielen die Dokumente des Polizeiarchivs eine Rolle in aktuellen Gerichtsverfahren?

Unbedingt. Die Staatsanwaltschaft, der Menschenrechtsombudsmann und Anwälte ziviler Organisationen sind Hauptnutzer des Archives. Zum ersten Mal wurden Archivakten im Jahr 2010 im Gerichtsfall Fernando García verwendet, einem Studentenführer, der 1984 gewaltsam verschleppt wurde. Konnten zunächst zwei Polizeibeamte als Ausführende des Verbrechens verurteilt werden, wurden im vergangenen Jahr sogar noch der damalige Polizeichef Héctor Bol de la Cruz und ein ehemaliger Kommandant zur Rechenschaft gezogen. Bei diesen Fällen geht es nicht nur darum, Gerechtigkeit für Einzelne zu erlangen, sondern um Wahrheitsfindung. Im Sinne einer integralen Transitionsjustiz sollen gesellschaftliche und politische Prozesse angeschoben werden.

Im Genozidprozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt geht es um Massaker, die systematisch vom Militär in der Ixil-Region ausgeführt wurden. Fanden auch Dokumente aus dem Polizeiarchiv Verwendung?

Im Fall Ríos Montt konnten Gerichtsgutachter mit Archivakten widerlegen, dass selbiger nicht gewusst hatte, was im Land vor sich ging – wie es seine Verteidiger darzulegen versuchten. Der Ex-Diktator ließ sich nämlich den Schriftstücken zufolge in sämtlichen Sicherheitsfragen höchst penibel informieren; Polizei- und Militäreinheiten waren stets auf seine persönliche Stippvisite vorbereitet.

Letztendlich wurde die Verurteilung Ríos Montts aufgrund »technischer Verfahrensfehlern« annulliert. Eine offensichtlich politische Entscheidung. Wie kann einem solchen Ränkespiel in Zukunft entgegengewirkt werden?

Die Forderung nach Gerechtigkeit muss eine breite Basis in der Bevölkerung bekommen und darf nicht nur Sache von Menschenrechtsorganisationen und Überlebenden bleiben. Deshalb haben wir uns als Initiative zusammengefunden, um der aufkeimenden gesellschaftlichen Debatte einen Raum zu geben. In dieser Initiative um einen gesellschaftlichen Dialog vereinen sich Angehörige ganz unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen, wie der ehemalige Verteidigungsminister, General Julio Balconi, der 34 Jahre lang in der Armee diente und an den Friedensverhandlungen beteiligt war, darüber hinaus der führende Wirtschaftsmanager Roberto Gutiérrez sowie Otilia Lux, eine bekannte Maya-Intellektuelle und Politikerin, die an der Wahrheitskommission beteiligt war.

Wie wird diese Initiative in Guatemala aufgenommen? Immerhin ist die Gesellschaft auch 34 Jahre nach Friedensschluss noch stark polarisiert.

Sowohl auf Seiten der Militärs wie auch auf Seiten der ehemaligen Guerilla stoßen wir mitunter auf verschlossene Türen. Manche Menschen wollen von einem Dialog nichts wissen. Das ist natürlich ihr gutes Recht angesichts der schrecklichen Ereignisse des Krieges. Auch ich habe 25 Jahre lang in revolutionären Bewegungen gekämpft und gehörte dem Führungsstab der EGP, des Guerillaheeres der Armen an. Damals war das die absolut richtige Entscheidung, die ich stets verteidige. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass heute die Zeit gekommen ist, den Dialog zu suchen, um die Wahrheit zu einem gesellschaftlichen Allgemeingut werden zu lassen. Ihre Verbreitung in sich ist eine Form von Gerechtigkeit.

Sie wollen dem Dialog einen Ort geben – auf dem Gelände des Historischen Polizeiarchivs?

Das Archivgebäude – der Unterbau eines nie vollendeten Polizeihospitals – ist eine historische Stätte. Anfang der 80er Jahre wurde dieser düstere verwinkelte Ort von der Polizei als Gefängnis und klandestine Folterstätte genutzt. Hier sollen nun Räume des Dialogs und der Debatte entstehen, die sämtliche Bevölkerungsgruppen miteinbeziehen und unterschiedlichen Meinungen und Erfahrungen Raum geben. Als Gedenkstätte soll der Flachbau um zwei hohe geschwungene Pyramiden ergänzt werden: im Design angelehnt an Bauten der Mayakultur und aus Bambus als traditionellem nachhaltigen Material. In der Planung haben wir Holocaustgedenkstätten wie Sachsenhausen und Yad Vashem in Israel besucht. Der lange Prozess der Vergangenheitsaufarbeitung in Deutschland ist für uns ein wichtiges Beispiel.

Noch steckt dieses Bauvorhaben in den Kinderschuhen.

Während der Bau der Gedenkstätte aussteht, laden wir an anderen Orten zu Veranstaltungen und Aktivitäten ein. Debatten gibt es nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in den vom Krieg betroffenen Regionen, in Cobán, in Rabinal, Huehuetenango, Baja Verapaz und im Quiché. Guatemala muss nach dem politischen Frieden auch zu einem gesellschaftlichen Frieden finden. Es kann keine Zukunft geben, wenn die Schatten der Vergangenheit nicht gesamtgesellschaftlich angegangen werden – ohne die Ursachen auszublenden, die zum bewaffneten Konflikt führten und noch immer die Gesellschaft prägen; wie Armut, Ungerechtigkeit und Rassismus.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Juni 2014


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