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Schüsse auf den Präsidentensitz

Putschversuch nach Wahlen in Guinea-Bissau niedergeschlagen

Von Andreas Herrmann, Bissau *

Zwei Tage nach Veröffentlichung der Ergebnisse von Parlamentswahlen am 16. November nahmen Soldaten die Residenz des Präsidenten von Guinea-Bissau unter Beschuss. Staatschef Joao Bernardo Vieira blieb unverletzt. In der Hauptstadt Bissau herrscht gespannte Ruhe.

Die regierende Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit Guinea-Bissaus und der Kapverden (PAIGC), die 1956 im Kampf gegen die portugiesische Kolonialmacht gegründet worden war und das Land 1974 in die Unabhängigkeit geführt hatte, eroberte bei den Parlamentswahlen am 16. November eine knappe Zweidrittelmehrheit im Parlament: Dem vorläufigen Wahlergebnis zufolge, das am Freitagabend veröffentlicht wurde, wird sie 67 der 100 Abgeordneten stellen. Die wichtigste Oppositionskraft, die Partei der Sozialen Erneuerung (PRS), muss sich mit 28 Sitzen zufrieden geben. Drei Parlamentarier vertreten die Republikanische Partei für Unabhängigkeit und Entwicklung (PRID). Die meisten der 19 Parteien und zwei Wählervereinigungen, die sich der Abstimmung stellten, gingen dagegen leer aus.

Beobachter aus 15 EU-Staaten hatten an der Vorbereitung und am Verlauf der Wahlen wenig zu beanstanden. Anders der Wahlverlierer Kumba Yala, Führer der oppositionellen PRS, der das Ergebnis als gefälscht bezeichnete. Yala, der von 2000 bis 2003 selbst Staatspräsident war, bevor er durch einen Militärputsch gestürzt wurde, hatte sich bereits im Wahlkampf heftige Auseinandersetzungen mit dem amtierenden Staatsoberhaupt João Bernardo Vieira geliefert. Beide Politiker, einst gleichermaßen der PAIGC verbunden, beschuldigten sich im Rundfunk gegenseitig, Drahtzieher des Drogenschmuggels im Lande zu sein. Tatsächlich sind die schwer zu kontrollierenden Landepisten auf den Bijagos-Inseln zur Drehscheibe des internationalen Drogenschmuggels aus Südamerika nach Europa geworden. Für Wahlkampfstimmung sorgte so auch die Ankündigung des Vertreters der Vereinten Nationen im Lande, eine Expertengruppe zur Untersuchung des Drogenhandels zu bilden. Kumba Yala forderte die Vereinten Nationen gar auf, ein internationales Tribunal zur Absetzung Vieiras einzusetzen. Er bezeichnete den Präsidenten, der bereits in den Jahren 1980 bis 1999 an der Spitze des kleinen Staates gestanden hatte, zudem als Hauptverantwortlichen für die wirtschaftliche Misere des westafrikanischen Landes mit seinen etwa 1,5 Millionen Einwohnern. Das immer noch von den Folgen eines Bürgerkriegs 1998/99 gezeichnete Guinea-Bissau hatte kurz vor dem Wahltermin beim befreundeten Angola einen 30-Millionen-Dollar-Notkredit aufnehmen müssen, um die seit drei Monaten überfälligen Gehälter der Staatsangestellten bezahlen zu können. Weite Teile der Hauptstadt Bissau sind ohne Strom.

Nach der Verkündung der Wahlergebnisse war es zunächst ruhig geblieben. Die Mehrheit der Bevölkerung hofft offenbar auf den Erneuerungswillen des PAIGC-Spitzenkandidaten Carlos Gomez Junior, der das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen wird. In der Nacht zum Sonntag aber beschossen Soldaten den Sitz von Präsident Vieira mit Raketenwerfern und Gewehren. Aus dem Innenministerium verlautete später, es habe sich um einen Putschversuch gehandelt, der jedoch niedergeschlagen worden sei. Einer der Angreifer sei getötet worden, in anderen Meldungen war von einem Toten unter den präsidententreuen Sicherheitskräften die Rede. Präsident Vieira selbst blieb unverletzt, nannte die Lage jedoch »nach wie vor kritisch«.

* Aus: Neues Deutschland, 25. November 2008


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