Guineas Autokrat musste nachgeben
Die Tage des "ewigen Präsidenten" Lansana Conté scheinen gezählt zu sein
Von Matthias Böckmann *
»Unsere reiche Natur hat uns verdorben«, bedeutete mir ein pensionierter guineischer Diplomat auf
meine Frage, warum das Volk nicht aufstehe und gegen den autokratischen Präsidenten Lansana
Conté protestiere.
Die reichen Gaben der Natur machen Guinea zum »Wasserturm Westafrikas«, zum Quellland der
Flüsse Niger, Senegal und Gambia. Sie sorgen für reichlich Niederschläge und gute Böden. Und die
Bauxitvorkommen (ein Drittel der Weltreserven) garantieren sichere Deviseneinnahmen. Was an der
Armut der Mehrheit freilich nichts ändert und deren Unmut in den vergangenen zwei Monaten nicht
mehr zähmen konnte. Ein Generalstreik, angeführt von den vier Gewerkschaftsverbänden und
Organisationen der Zivilgesellschaft, legte das Land seit Mitte Januar lahm – ohne wesentliche
Beteiligung der zerstrittenen und ethnisch gespaltenen Opposition.
Die wesentliche Forderung der Streikenden war, dass der 72-jährige kranke Präsident Lansana
Conté, der seit April vergangenen Jahres zugleich Regierungschef war, endlich einen mit erweiterten
Vollmachten ausgestatteten Premierminister ernennen solle, der das Land aus der Krise führt. Der
Regierungschef dürfe, so der Wille der Gewerkschaften, nicht an den »Unterschlagungen« des
bisherigen Regimes beteiligt gewesen sein. Alle bisherigen Minister und Inhaber höherer Ämter
waren in ihren Augen diskreditiert. Als Conté am 9. Februar Eugène Camara, zuvor Minister im
Präsidialamt und einer seiner engsten Vertrauten, mit dem Amt des Regierungschefs betraute,
brachen die Mauern endgültig. Jugendliche errichteten Barrikaden, plünderten Häuser von
Funktionären des Regimes und lieferten sich Straßenschlachten mit Polizei, Gendarmerie und
Militärs.
Junge Rekruten, denen jegliche Ausbildung fehlte, schossen um sich, der Sohn des Präsidenten
formierte aus Freunden eine Todesschwadron, wurde aber vom Kommandeur der
Präsidentengarde, dem er formell untersteht, zurückgepfiffen. Angeblich waren zur Unterstützung
des Regimes sogar ehemalige Bürgerkriegskämpfer aus Liberia ins Land geholt worden, ebenso
Spezialkräfte aus dem benachbarten Guinea-Bissau.
Die Gewerkschaften nahmen den zunächst ausgesetzten Streik wieder auf. Doch Präsident Conté
behauptete, er habe ihre Forderung erfüllt, und ließ durch seinen Generalstabschef den
Ausnahmezustand verkünden. Die Armee ging bei der »Wiederherstellung der Ordnung« nicht nur
gegen vorgebliche und tatsächliche Plünderer vor, sondern machte auch ausländische Söldner
dingfest. Im Verlaufe der gewaltsamen Auseinandersetzungen kamen mehr als 100 Menschen ums
Leben.
Unter Vermittlung der ersten Ehefrau Lansana Contés und des ehemaligen nigerianischen
Staatschefs Ibrahim Babangida lenkte der Präsident endlich ein und forderte die Gewerkschaften
auf, ihm eine Liste von vier Personen vorzulegen, die sie für das Amt des Premierministers geeignet
hielten.
Benannt wurden Mohamed Béavogui, Direktor der Abteilung Afrika beim Internationalen Fonds für
landwirtschaftliche Entwicklung in Rom, Lansana Kouyaté, ehemaliger UN-Diplomat,
Generalsekretär der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und zuletzt
Repräsentant der Internationalen Organisation frankophonen Staaten (OIF) für das Bürgerkriegsland
Côte d'Ivoire, Saïdou Diallo von der Nationalen Krankenversicherung und Kabinet Komara,
Abteilungsleiter bei der Afreximbank in Kairo. Alle vier Kandidaten befanden sich lange genug
außerhalb Guineas, um unverdächtig im Sinne der Gewerkschaften zu sein.
Am 25. Februar übernahm der heimliche Favorit Lansana Kouyaté das Amt des Regierungschefs.
Zu seinen ersten Maßnahmen gehörte ein Ausgabenverbot für staatliche Behörden. Kouyaté
versucht einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen und sowohl Gewerkschaften und
Oppositionsparteien wie auch die derzeitigen Machthaber einzubinden. Vorerst feiert ihn die
Bevölkerung wie einen Messias. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Guinea wie 1958, als es
als einzige afrikanische Kolonie Frankreichs für die sofortige Unabhängigkeit stimmte, Vorreiter für
eine neue Form des Übergangs in Afrika sein wird.
* Aus. Neues Deutschland, 20. März 2007
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