Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nach wie vor riesiger Hilfsbedarf in Haiti

medico international und terre des hommes ziehen ein Jahr nach dem schweren Erdbeben Bilanz: Überall herrschen Mangel, Armut, Korruption und Gewalt


Im folgenden dokumentieren wir zwei aktuelle Stimmen von Hilfsorganisationen, die seit Jahr und Tag mit Hilfsprojekten in Haiti tätig sind.
Wie weisen an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal auf die Spendenmöglichkeit hin:
  • terre des hommes
    Spendenkonto 700 800 700; Volksbank Osnabrück eG; BLZ 265 900 25
    Stichwort: Erdbeben Haiti
  • medico international Konto-Nr. 1800
    Frankfurter Sparkasse; BLZ 500 502 01
    Stichwort: Haiti

Ein Jahr nach dem Erdbeben

Die Hilfsmaßnahmen von medico international im Rahmen des Bündnis Entwicklung Hilft *

Von den 3,67 Millionen Euro, die medico international für seine Hilfsmaßnahmen in Haiti bisher aus Mitteln des Bündnis Entwicklung Hilft erhalten hat, wurden bislang 1,07 Millionen Euro eingesetzt.

medico international konzentrierte sich bei seiner bisherigen Arbeit nach dem Erdbeben neben der Soforthilfe auf die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen im Landesinneren sowie auf den Ausbau des Gesundheitswesens in der Region Artibonite. Dieser Ausbau ist auf drei Jahre angelegt und mit einem Finanzvolumen von 462.000 Euro der größte Einzelposten der medico-Arbeit in Haiti. Das Projekt mit dem haitianischen Partner SOE umfasst die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten auf dem Land, insbesondere Mutter-Kind-Gesundheit, sowie Hygiene- und Gesundheitserziehung und den Bau von Latrinen. Von diesen Maßnahmen profitieren ca. 100.000 Menschen.

Zudem leistet SOE in der Region Artibonite derzeit Cholera-Nothilfe, indem die SOEMitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bevölkerung durch Hygienepromotoren und Radiosendungen über Choleraprävention und -behandlungsmöglichkeiten aufklären und die Trinkwasseraufbereitung sicherstellen. Den Fokus auf Zahngesundheit legte die Dental-Brigade des guatemaltekischen medico- Partners ACCSS, die zwei Monate lang in Präventionsprogrammen zahnmedizinische Versorgung in der vom Erdbeben hart getroffenen Stadt Léogâne durchführte. Planungen

Da die Philosophie von medico international in der Nothilfe darauf ausgerichtet ist, nach längerfristigen Entwicklungsperspektiven zu suchen, gibt es schon jetzt Projekte, die auf mehrere Jahre angelegt sind. Im nächsten Jahr ist geplant, eine haitianische Organisation bei der partizipativen Erstellung eines kommunalen Entwicklungsplans zu unterstützen – sowohl finanziell als auch beratend. In Haiti ist die zentrale Regierung nicht in der Lage, eine Antwort auf die Probleme des Landes zu geben. Die Dezentralisierung ist in der Verfassung verankert. Der Bürgermeister der entsprechenden Gemeinde, Aquin, hat medico und seiner haitianischen Partnerorganisation CRESFED eine Akkreditierung erteilt, mit der Ausarbeitung eines kommunalen Entwicklungsplans zu beginnen.

Desweiteren wird medico eine Basisorganisation im Dorf Kolora in der Region Belladère im Grenzgebiet zur Dominikanischen Republik, die über keinerlei Infrastruktur verfügt, dabei unterstützen, durch Latrinenbau und Sensibilisierung der Bevölkerung ihre sanitären Verhältnisse zu verbessern. Gerade in Zeiten der Cholera erhält die Verbesserung sanitärer Verhältnisse eine besondere Bedeutung. Im Rahmen des Süd-Süd-Austausches wird die Fortführung des Einsatzes guatemaltekischer Gesundheits- und Dentalpromotoren weiter verfolgt. Geeignete haitianische Landbewohner aus den unterschiedlichen Partnerorganisationen sollen eine entsprechende Ausbildung erhalten, die sie befähigt, anschließend in ihren ländlichen Gemeinden als Gesundheits- und Dentalpromotoren tätig zu werden. Dazu gehört der Auf- und Ausbau sowie die Stärkung existierender organisatorischer Strukturen, in die sie eingebunden sein werden.

Eine ausführliche tabellarische Beschreibung aller von medico international mit Mitteln des Bündnis Entwicklung Hilft geförderten Projekte finden Sie hier.

Brot für die Welt, medico international, Misereor, terre des hommes und Welthungerhilfe leisten als Bündnis Entwicklung Hilft gemeinsam akute und langfristige Hilfe bei Katastrophen und in Krisengebieten.

* Quelle: Website von medico international, 12. Januar 2011; www.medico.de


Haiti: Ein Jahr nach dem Erdbeben **

1. Haiti – Ein Staat ohne funktionierende Strukturen Am 12. Januar 2010 wurden weite Teile Haitis, darunter auch die Hauptstadt Port-au-Prince, von einem verheerenden Erdbeben verwüstet. Mindestens 230.000 Menschen kamen ums Leben, rund eine Million Menschen wurden verletzt und verloren ihr Zuhause. Eine gewaltige Welle internationaler Hilfe seitens staatlicher Organisationen unter logistischer Führung des US-Militärs sowie durch Nichtregierungsorganisationen setzte ein. Im Oktober wurde Haiti vom Wirbelsturm »Tomas« getroffen, gleichzeitig brach die Cholera aus, der vorsichtigen Schätzungen zufolge bisher mindestens 2.000 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Nach dem Beben herrschte riesiger Bedarf an akuter Not- und Überlebenshilfe sowie an unmittelbarer Versorgung für die Opfer der Katastrophe. Anders als nach dem Tsunami in Südostasien, wo zwar breite Küstengebiete, nicht jedoch das Hinterland und seine Verwaltungsstrukturen zerstört wurden, liegt in Haiti die gesamte Verwaltung des Landes in Trümmern. Nicht nur die Behausungen der Ärmsten – die in der Regel aufgrund ihrer besonderen Exposition für Gefährdungen bei Naturkatastrophen am stärksten betroffen sind – sind eingestürzt, sondern auch der Regierungspalast und große Teile der Hauptstadt Port-au-Prince.

Doch neben der Erdbebenkatastrophe und ihren Folgen existiert in Haiti seit vielen Jahren eine zweite, die eigentliche Katastrophe, auf die die internationale Aufbauhilfe reagieren müsste. Denn die eigentlichen Probleme Haitis lauten Armut, instabile politische Verhältnisse, Korruption, Fehlen einer verlässlichen sozialen Infrastruktur und Abhängigkeit des Landes von ausländischer Hilfe. Die Perspektiven für den Wiederaufbau sind damit denkbar schlecht. Denn es geht nicht allein um den materiellen Wiederaufbau, die Neuerrichtung von Behausungen, Schulen, Krankenhäusern und Verwaltungsgebäuden, die auch vor dem Erdbeben kaum vorhanden waren oder funktionierten. Es geht um den Aufbau des haitianischen Staates als solchen: Behörden und Institutionen müssen entstehen, legitimiert sein und von der Bevölkerung akzeptiert werden. Die Gesellschaft braucht soziale Solidarität und Rechtssicherheit als Basis für Investitionen in Wirtschaft und Wiederaufbau, und es gilt sicherzustellen, dass eingesetzte Fördermittel sinnvoll eingesetzt und in ihrer Verwendung geplant und kontrolliert werden. Besitz- und Bodenverhältnisse, die in der Regel nicht schriftlich dokumentiert sind, müssen gerade auch unter dem Druck eines möglichst schnellen Wiederaufbaus mit friedlichen Mitteln und zur allgemeinen Akzeptanz geklärt werden.

Neben der Stärkung staatlicher Strukturen ist eine organisierte Zivilgesellschaft als Partner für die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen unverzichtbar, um Verhandlungen, Konfliktmanagement und vor allen Dingen die Vertretung der Interessen der Ärmsten sicherzustellen. Alle Wiederaufbaumaßnahmen müssten sehr schnell gehen, um Menschen ein Dach über dem Kopf, aber auch Bildung, Gesundheitsvorsorge, Schutz, Schutz vor Cholera usw. zu gewähren. Andererseits muss sich jeglicher Wiederaufbau den Möglichkeiten und Geschwindigkeiten der Menschen vor Ort anpassen und darf nicht von außen diktiert werden. Es sind die Dynamiken und sozialen Verhältnisse in Haiti selbst, die das Tempo wie auch den Erfolg der Wiederaufbauhilfe bestimmen. Führt man sich vor Augen, dass Hamburg und Berlin, die 1945 in Trümmern lagen, selbst mit Rückendeckung durch Marshallplan und schnellen Wirtschaftsaufschwung noch Jahre später Spuren des Krieges aufwiesen, lässt sich verstehen, dass auch der Wiederaufbau Haitis lange Zeit brauchen wird. Edmond Mulet, Chef der UNMission »MINUSTAH« in Haiti, schätzt, dass es bis zu 100 Jahre dauern könne. Er meint damit eben nicht die Rekonstruktion der fragilen Verhältnisse von vor dem Erdbeben, wo die Mehrheit der Haitianer unter Armut, Korruption und einem unfähigen Staatswesen litt, sondern den Aufbau einer Gesellschaft, in der Menschen die Chance auf ein Leben in Würde haben und in der Rechtssicherheit und die Befriedigung der Grundbedürfnisse für die Ärmsten garantiert sind.

2. terre des hommes-Hilfsmaßnahmen

terre des hommes hat insgesamt 4.751.700 Euro Spenden für Haiti erhalten. Bis Ende 2010 wurden 3.066.580 Millionen Euro in Projekte eingesetzt. Die übrigen Spenden in Höhe von 1.685.120 Euro fließen in mittel- und langfristige Wiederaufbauprogramme in Haiti.

Soforthilfe-Maßnahmen nach dem 12. Januar 2010

terre des hommes Deutschland begann unmittelbar nach dem Erdbeben über die Schweizer terre des hommes-Schwesterorganisation aus Lausanne mit ersten Nothilfemaßnahmen wie der Bereitstellung von Unterkünften und der Erstversorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung. Die Hilfe konzentrierte sich zunächst auf die Region Les Cayes im Südwesten Haitis, wo terre des hommes Lausanne bereits seit mehr als 20 Jahren tätig war und wohin viele Menschen aus dem zerstörten Port-au-Prince flohen. Nach einigen Wochen wurden langfristig angelegte Projekte eingeleitet und andere Regionen mit einbezogen. Zweiter terre des hommes-Partner ist die Organisation Uramel, die in der Hauptstadt vor allem in Bereichen Trauma und medizinischer Versorgung tätig ist.

Partner terre des hommes Lausanne

Die erste Phase des Projekts mit terre des hommes Lausanne hat ein Budget von einer Million Euro. Damit werden Maßnahmen in den Regionen Léogâne, Grand und Petit Goâve sowie im Sud Department durchgeführt. terre des hommes Lausanne ist mit etwa 200 Helfern in Haiti tätig, davon sind 185 lokale Kräfte. Das Projekt wendet sich vor allem an Kinder und Jugendliche und ihre Familien.

Die durchgeführten Aktivitäten hatten zunächst den Schwerpunkt auf einer Katastrophen- Erstversorgung: Diese beinhaltete die Bereitstellung von Unterkünften, Trinkwasser und sanitären Anlagen. Dafür wurden Zelte, Plastikplanen und Baumaterial sowie Decken und Matratzen verteilt. Um die Gesundheitssituation zu verbessern, erhielten Familien Lebensmittel, Moskitonetze und Hygieneartikel wie Seife und Reinigungsmittel und konnten medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Die Zelte werden nach und nach durch stabilere Übergangsunterkünfte ersetzt, die den Bewohnern für mehrere Jahre als Behausung dienen können. Ergänzt wird das Programm durch Maßnahmen im Kinderschutz und einer psychosozialen Betreuung der Opfer. Seit dem Ausbruch der Cholera wurde die Choleraprävention in die Aktivitäten aufgenommen. In der ersten Projektphase bis Ende 2010 erreichten die Projektmaßnahmen etwa 75.000 Menschen.

Neben der Versorgung der Bevölkerung mit dem Allernötigsten liegt ein Schwerpunkt der Arbeit von terre des hommes Lausanne auf dem Kinderschutz. Viele Kinder in Haiti lebten schon vor dem Erdbeben in dramatischen Verhältnissen. Das Beben hat die Situation weiter verschärft. Viele Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und litten in der Folge auf der Straße, in Notlagern oder bei Angehörigen unter Gewalt, beengten Verhältnissen, fehlender Hygiene und Mangel an gesundheitlicher Betreuung. In diesem Umfeld bestand für die Kinder die Gefahr, Opfer sexuellen Missbrauchs oder Kinderhandels zu werden.

terre des hommes Lausanne hat ein Schutzsystem aufgebaut, das bedürftigen Kindern individuelle Betreuung zukommen lässt. Dafür wurden neun Schutzzentren für sechs- bis zwölfjährige Kinder gebaut. Etwa 2.600 Kinder wurden hier registriert. Sie werden täglich durch geschultes Personal betreut. Hier werden gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten wie Spiel und Sport ermöglicht. Die Kinder kommen nach der Schule ins Zentrum und verbringen ihre Freizeit in einem sicheren Raum, in dem sie sich entfalten können. Sie können sich mit den Betreuern austauschen und ihre Ängste aufarbeiten. Mitarbeiter gehen bei Problemen in die Familien, suchen gemeinsam mit den Eltern oder anderen Bezugspersonen nach Lösungen und bieten erzieherische und psychosoziale Unterstützung. In den staatlichen Kinderheimen, mit denen terre des hommes zusammenarbeitet, werden Kinder registriert, um zu vermeiden, dass sie verschwinden oder Opfer von Kinderhandel oder illegaler Adoption werden. Die Familienmitglieder werden gesucht und, falls möglich, wieder mit ihren Kindern zusammengeführt.

Der Ausbruch der Cholera erforderte sofortige Maßnahmen im Programm, vor allem im Bereich der Prävention. Die Familien infizierter Personen werden versorgt: Fortlaufend besuchen sechs mobile Teams die Angehörigen, informieren die Familienmitglieder, desinfizieren Wasserstellen und führen Desinfektionen im Haus durch. Zudem untersuchen sie Wasserversorgungsstellen auf Cholera-Erreger. Aufklärung durch Kampagnen und Schulungen zum Thema Cholera werden insbesondere für Gemeindevorstände und für religiöse Autoritäten abgehalten. Insgesamt wurden etwa 27.000 Menschen darüber aufgeklärt, wie sie sich effektiv vor einer Ansteckung schützen können. In 52 Waisenhäusern und in der Kinderstation des Krankenhauses in der Stadt Les Cayes wurde das Personal fortgebildet. Dabei wurden auch Seifen, Chlortabletten und Eimer mit Wasserhahn zur Wasseraufbewahrung verteilt, mit denen sich die Handwäsche vereinfachen lässt. Der Bau von Latrinen wurde insbesondere in Slumgebieten der Stadt Les Cayes intensiviert.

Fortlaufend werden Wasserversorgungsstellen auf Cholera-Erreger getestet. Derzeit wird in Petit Goâve eine Gesundheitsstation errichtet, die von der Schweizer Sektion der Organisation Médecins du Monde betreut werden wird.

In den nächsten Projektphasen wird terre des hommes Lausanne einen besonderen Fokus auf den Bereich Kinderschutz und psychosoziale Betreuung legen. Der Schutz vor der Cholera-Epidemie wird in alle Planungen miteinbezogen. Neben kommunalen Aufklärungsaktionen werden insbesondere die Waisenhäuser der Region in die Maßnahmen miteingebunden. Die nächste Förderphase wird ein Volumen von 1,2 Millionen Euro umfassen.

Partner Uramel

Der zweite terre des hommes-Partner in Haiti ist die Organisation Uramel. Sie kümmert sich um die medizinische und psychosoziale Versorgung der Erdbebenopfer in der Hauptstadt Port-au- Prince. Das Projekt hat ein Budget von 2.046.580 Euro und wendet sich vor allem an die Menschen, die in den improvisierten Camps in der Innenstadt wohnen.

In einer Klinik richtete Uramel eine erste Gesundheitsversorgung ein. Im Umfeld größerer provisorischer Zeltstädte wurden mehrere Gesundheitsstationen errichtet. Medizinisch geschulte Teams informieren die Bewohner in den Zeltstädten im Innenstadtgebiet über notwendige Hygienemaßnahmen, insbesondere angesichts der Cholera. Ein weiterer Schwerpunkt ist die HIV/Aids-Prävention, das richtige Stillen von Säuglingen und die Durchführung von Impfkampagnen. Die Mitarbeiter identifizieren Familien, die einen besonders hohen Bedarf an Hilfsleitungen haben und machen sie auf die Angebote von Uramel aufmerksam. Zusätzlich gibt es mobile Teams mit Ärzten, Krankenschwestern und Apothekern, die an wechselnden Standorten in den Camps eine medizinische Versorgung sicherstellen. Insgesamt wurden bisher etwa 48.000 Patienten betreut. Uramel betreibt zudem ein Zentrum zur trauma-therapeutischen Behandlung. Hier arbeiten 22 Ärzte, Psychologen, Krankenpfleger, Sozialarbeiter und Absolventen der psychologischen Fakultät. Etwa 2.400 Personen, darunter auch Hunderte Kinder, wurden hier behandelt. Trauma- Aid, ein in Duisburg ansässiger Verein, schult die Psychologen in der Behandlung von Traumata. Dazu wurden Fortbildungen für Ärzte, Krankenpfleger, Sozialarbeiter und Lehrer angeboten. Sie wurden darin geschult, Personen zu identifizieren, die besondere Schwierigkeiten bei der Verarbeitung der schrecklichen Erlebnisse haben und Symptome eines Traumas oder Schockzustands haben.

Eine der Stärken von Uramel ist die politische Arbeit. Auf diesem Feld war die Organisation in Haiti auch vor dem Beben tätig. Ziel ist es, in der breiten Öffentlichkeit und insbesondere bei Entscheidungsträgern das Bewusstsein für die Bedeutung der psychischen Gesundheit zu wecken.

3. Cholera

Nach dem Bekanntwerden der ersten Cholera-Fälle wurden Präventionsund Schutzmaßnahmen ergriffen, um eine Ansteckung der Menschen und dadurch eine Ausbreitung der Epidemie zu verhindern. Entscheidend ist die Verbreitung von Informationen darüber, wie sich Menschen vor einer Infektion schützen können: Kein Genuss von verseuchtem Wasser oder verunreinigten Nahrungsmitteln, Desinfektion und unbedingte Hygiene. Wenn Symptome der Cholera wie starkes Erbrechen und Durchfall auftreten, ist sofortige medizinische Hilfe notwendig. Andererseits lässt sich die Krankheit schnell und kostengünstig behandeln, wenn eine entsprechende Gesundheitsinfrastruktur da ist. Doch während im Weltmaßstab die Sterblichkeitsrate von Cholera-Erkrankten bei zwei bis drei Prozent liegt, beträgt sie in Haiti rund zehn Prozent. Besonders gefährdet sind mangelernährte Personen, Kinder und schwangere Frauen. Zeltstädte, beengte Siedlungsverhältnisse und dadurch bedingte mangelnde hygienische Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung der Cholera.

terre des hommes hat zahlreiche medizinische mobile Teams zum Einsatz gebracht, die in besonders gefährdeten Gebieten Latrinen gebaut und Wasserstellen desinfiziert haben, zudem wurden Pumpsysteme für die Chlorierung des Wassers eingerichtet und systematisch Wasserkontrollen durchgeführt. Unterstützt wurde die Arbeit durch internationale Experten, beispielsweise durch ein Team des Universitätskrankenhauses Genf. Zur Arbeit gehört auch die Unterstützung der Kinderabteilung in öffentlichen Krankenhäusern wie in Les Cayes. Die Präventionsarbeit wird in den weiteren Projektmaßnahmen verstärkt werden.

4. Herausforderungen

Direkt nach dem Beben ging es darum, schnell und effizient Überlebenshilfe zu leisten. Die aufgebauten Kliniken, Gesundheitsstationen und Apotheken schufen eine bessere Gesundheitsversorgung als vor dem Beben. Gleiches galt für die Wasserversorgung in den ländlichen Regionen. Insgesamt jedoch sind auch nach einem Jahr erst recht wenige Schulen wiederaufgebaut, da Baumaterial sehr schwer erhältlich ist. Preise und somit Lebenshaltungskosten sind gestiegen, die Menschen jedoch ganz überwiegend nach wie vor arm. Ungeklärte Grundbesitzverhältnisse erschweren die Situation; Regierung und Verwaltung sind mit der Organisation des Wiederaufbaus und der Lösung konkreter Probleme vielfach überfordert.

Die Projekte der terre des hommes-Partner müssen daher derartige akute Probleme lösen, in ihrer Arbeit aber zugleich viel grundsätzlicher ansetzen. Gerade im Bereich der psychischen Gesundheit wird deutlich, dass für viele Krankheiten und Störungen die Ursache nicht primär das Erdbeben ist. Sie liegen in den über Generationen erlebten gesellschaftlichen Missständen wie der alltäglichen Gewalt und der Erfahrung von Mangel, Armut und Korruption.

Besonders schwer wirkt sich in dieser Gemengelage der Ausbruch der Cholera aus – in einer Situation, in der die medizinische Grundversorgung in den bis dahin extrem unterversorgten ländlichen Regionen sich im Vergleich zu der Zeit vor dem Beben verbesserte. Die Bemühungen der Nichtregierungsorganisationen, die Phase der unmittelbaren Nothilfe abzuschließen und den Wiederaufbau konsequent voranzubringen, wurden vielerorts zurückgeworfen. Viele Organisationen haben neben der Cholera-Behandlung kaum Kapazitäten, um andere Erkrankungen zu behandeln. Mit einem baldigen Ende der Epidemie ist nicht zu rechnen. Experten gehen von mehrere Wochen aus, bis der Gipfel der Epidemie erreicht sei, und auch mehrere Wochen, bis sie wieder abklingt. Da das Bakterium nun im Land ist, zu befürchten, dass es auch in den kommenden Jahren immer wieder Ausbrüche geben könnte.

5. Perspektiven und Einschätzungen

terre des hommes versteht seine Rolle als Akteur, der einen Beitrag zum Aufbau einer haitianischen Infrastruktur zum Schutz von Kindern und zur Sicherung der Gesundheitsvorsorge leistet. Dies geschieht in Abstimmung mit den vielen anderen internationalen Organisationen, die bestrebt sind, die schwachen Ansätze einer haitianischen Zivilgesellschaft zu fördern. Die mittelfristige Perspektive dieser Arbeit liegt nach derzeitigen Plänen bei rund fünf Jahren. Der terre des hommes-Projektpartner Uramel, der in seiner »Psycho-Trauma-Klinik« Hilfe für Patienten anbietet, intensiviert die Fortbildung für haitianische Psychologen. Es geht besonders um die sogenannte EMDR-Methode zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen. Hier kann Uramel, unterstützt durch den Verein Trauma-Aid, auf zahlreiche internationale Erfahrungen aus Katastrophenregionen wie dem Tsunami-Gebiet zurückgreifen. Der Bedarf der Unterstützung im psychosozialen Bereich ist offenkundig, nicht nur in Bezug auf die Nachwirkungen des Erdbebens und dadurch ausgelöste Traumata, sondern auch mit Blick auf die Erlebnisse vieler Menschen unter den katastrophalen gesellschaftlichen Verhältnissen Haitis vor dem Erdbeben.

Erfolge und Misserfolge sowie Tempo beim Wiederaufbau hängen untrennbar zusammen mit der politischen Situation des Landes, den Erfolgen bei der Rekonstruktion staatlicher Strukturen und dem Aufbau einer legitimierten öffentlichen Verwaltung. Regierung und internationale Behörden haben selbst hohe Opfer durch das Erdbeben zu beklagen, ihre eigene Infrastruktur und ihre Häuser sind zerstört worden. Es fehlen Dokumente, Identifikationsausweise und Besitznachweise für Grundstücke. In Port-au-Prince ist noch immer nicht entschieden, wo der Schutt abgelagert werden soll, so dass sich die Aufräumarbeiten immer wieder verzögern. Mittelfristig sind die terre des hommes-Programme jedoch auf eine Kooperation, zumindest jedoch auf eine Absprache mit haitianischen Behörden und Institutionen angewiesen. Im Januar entscheidet die Bevölkerung in einer Stichwahl über den neuen Präsidenten. Die Legitimität der Wahl wird von breiten Teilen der Bevölkerung bezweifelt. Es ist zu hoffen, dass die neu entstehenden politischen Strukturen Haitis den Hilfsorganisationen Planungssicherheit, Ansprechpartner, eine zeitliche und finanzielle Perspektive sowie einen Rahmen bieten, innerhalb derer sie gemeinsam und zum bestmöglichen Wohl der Menschen agieren können.

** Website von terre des hommes, 12. Januar 2011; www.tdh.de


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