Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Haiti wartet

Noch keine Ergebnisse der Stichwahl. Tausende feiern Rückkehr von Expräsident Jean-Bertrand Aristide

Von Santiago Baez *

Die Bilanz von zwei Toten ist für Gaillot Dorsainvil ein Erfolg. Der Vorsitzende des Provisorischen Wahlrats zog am Sonntag ein zufriedenes Resümee der Stichwahl um das Präsidentenamt in Haiti. Die Abstimmung sei »friedlich« verlaufen, so Dorsainvil, obwohl es im Verlaufe des Tages immer wieder Berichte über Zwischenfälle gegeben hatte. So war der Rapper Wyclef Jean, der ursprünglich selbst hatte kandidieren wollen, kurz vor Öffnung der Wahllokale von unbekannten Tätern angeschossen worden. Jean hatte sich zuletzt aktiv für den Kandidaten Michel Martelly eingesetzt, den letzte Umfragen vor der Juristin und früheren »First Lady« Mirland Manigat gesehen hatten.

Offizielle Ergebnisse der Stichwahl vom Sonntag werden nicht vor Ende kommender Woche erwartet, eine frühere Verbreitung von Teilergebnissen oder Nachwahlbefragungen haben die haitianischen Behörden verboten. »Die Wahlkommission bittet die Presse zu verstehen, daß die Veröffentlichung von Ergebnissen Demonstrationen auf der Straße provozieren kann«, begründete dies Dorsainvil. Nach der ersten Abstimmungsrunde im vergangenen November war es zu tagelangen Unruhen gekommen, als Anhänger unterlegener Kandidaten gegen einen vermeintlichen Wahlbetrug protestierten.

Für die einstige Regierungspartei Fanmi Lavalas ist hingegen der gesamte Wahlprozeß ungültig. Die Organisation war von den Wahlbehörden schon vor der ersten Runde ausgeschlossen worden. Offizieller Grund dafür war, daß unter ihrem Namen zwei Kandidatenlisten eingereicht worden seien.Gegenüber dem US-Onlinemagazin Counterpunch warf Parteisprecherin Maryse Narcisse der haitianischen Regierung vor, durch rechtswidrige Manöver den Ausschluß ihrer Organisation erreicht zu haben. Obwohl man diese Entscheidung erfolgreich vor Gericht angefochten habe, hätte die Wahlkommission der Fanmi Lavalas die Teilnahme an der Abstimmung weiter verweigert.

Trotzdem sieht sich die Partei im Aufwind, seit am vergangenen Freitag ihr Gründer, der frühere Präsident Jean-Bertrand Aristide, aus dem südafrikanischen Exil nach Haiti zurückgekehrt ist und prompt angekündigt hat, sich wieder in die Politik seines Landes einmischen zu wollen. Unmittelbar nach der Landung des Privatflugzeuges, das Aristide aus Südafrika nach Port-au-Prince gebracht hatte, feierten Tausende Anhänger auf den Straßen der haitianischen Hauptstadt ihr Idol. Dabei kam es auch zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Tränengas gegen die feiernden Menschen einsetzte.

Der einstige Priester und Anhänger der Befreiungstheologie Jean-Bertrand Aristide war im Dezember 1990 bei den ersten demokratischen Wahlen in Haiti nach dem Ende der jahrzehntelangen Duvalier-Diktatur mit überwältigender Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt worden. Er stand damals an der Spitze einer vor allem von der armen Bevölkerungsmehrheit des Karibikstaates getragenen Massenbewegung, die sich von Aristide einen radikalen Kurswechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit erhoffte. Doch nicht mal ein Jahr nach seinem Amtsantritt wurde Aristide im September 1991 durch einen Militärputsch unter Führung von General Raoul Cédras gestürzt und flüchtete ins Exil in die USA, die ihn 1994 durch eine Militärintervention wieder in sein Amt einsetzten. Zu welchem Preis, wurde nie öffentlich bekannt, aber von den ursprünglichen Zielen Aristides blieb kaum etwas übrig. Nachdem er entsprechend der Verfassung 1996 sein Amt an den bisherigen Premierminister René Préval abgegeben hatte, wurde Aristide Ende 2000 erneut in das höchste Staatsamt gewählt. Während er in dieser Zeit eine vorsichtige Annäherung an Kuba und Venezuela betrieb, formierten sich unter dem Einfluß rechtsextremer Todesschwadronen der Duvalier-Diktatur bewaffnete Widerstandsgruppen, die Anfang 2004 auf die Hauptstadt zumarschierten. Im Februar 2004 intervenierten US-amerikanische und französische Truppen in Haiti. Aristide wurde gestürzt und mit einem US-Flugzeug nach Südafrika gebracht. Während Washington und Paris behaupteten, der Staatschef habe abgedankt, erklärte Aristide selbst, US-Soldaten hätten ihn zum Besteigen der Maschine gezwungen. Er sehe sich weiter als legitimer Präsident seines Landes.

Ob Aristide heute jedoch tatsächlich wieder eine politische Rolle in dem durch die anhaltende politische Instabilität zerrütteten und durch das Erdbeben vom Januar 2010 zerstörten Land spielen kann, ist unklar. Kurzfristig dürfte seine Anwesenheit eher die politischen Spannungen weiter verschärfen.

* Aus: junge Welt, 22. März 2011


Zurück zur Haiti-Seite

Zurück zur Homepage