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In Port-au-Prince regieren die Schaufelbagger

Die Aufräumarbeiten kommen nur langsam voran, an Wiederaufbau ist noch nicht zu denken

Von Hans-Ulrich Dillmann *

Während in New York über den Wiederaufbau in Haiti beraten wird, sind auf der Karibikinsel die Aufräumarbeiten noch voll im Gange.

In der Innenstadt von Port-au-Prince regieren die Schaufelbagger. Auf der Rue de Centre ist alles in Staub gehüllt, wenn die Stahlarme der Baumaschinen in die Steinhaufen greifen und ihre Betonfracht in wartende Lastwagen heben. Dazwischen schlagen junge Männer mit schweren Vorschlaghämmern den Zement von den Armierungseisen – und legen das Alteisen fein säuberlich für den Abtransport bereit. Erste Häuserblocks rund um das Marktzentrum sind schon freigelegt und mit Wellblech eingezäunt. Wenn sie so weiter machen, wird es allerdings noch Jahre dauern, bis das Zentrum der haitianischen Hauptstadt vom Schutt der zusammengebrochenen Häuser befreit ist.

Unzählige Abrisskolonnen sind inzwischen im Zentrum der haitianischen Hauptstadt im Einsatz. Bezahlt werden sie aus internationalen Hilfsgeldern. Zum Feierabend wird ausgezahlt, die Geld-für- Arbeit-Jobs für umgerechnet rund 3,70 Euro pro Tag sind begehrt. Trotzdem gibt es noch immer unzählige Männer, die in den Trümmern auf eigene Faust nach verwertbarem Alteisen, nach Holzbrettern und Einrichtungsgegenständen suchen. Und immer wieder müssen die Arbeiten unterbrochen werden, weil Leichen aus den zusammengebrochenen Gebäuden zu bergen sind. Mehr als einmal ist es schon vorgekommen, dass die Lastwagenfahrer Tote erst entdeckten, als sie die Trümmer auf Freiflächen im Norden von Port-au-Prince kippten.

Port-au-Prince, diese rund drei Millionen Einwohner zählende Stadt am Meer, wurde mit viel Sand, aber zu wenig Zement gebaut, wie ausländische Bauingenieure immer wieder feststellen, wenn sie die Gebäudesubstanz untersuchen. »Da wurde an allem gespart«, sagt ein in Deutschland ausgebildeter Bauplaner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. »Viele Baufirmen haben ihre Kunden durch Einsparung von Material schlicht betrogen.« Der Pfusch am Bau hat Tausende von Haitianern bei dem Erdbeben das Leben gekostet.

Aber nicht nur die Bausünden der Vergangenheit haben die haitianische Hauptstadt mit dem Erdbeben im Januar eingeholt. Gebaut wurde die Stadt genau auf der Nahtstelle zwischen der Karibischen und der Nordamerikanischen Platte. »Seit Jahren haben sich die Zeichen gemehrt, dass es zu einem Erdbeben kommen könnte«, kritisiert der ehemalige Gesundheitsminister Haitis, Daniel Henrys. Er fordert die Verlegung von Port-au-Prince. Das neue politische, soziale und kulturelle Zentrum des Landes könne nordöstlich des gegenwärtigen Standorts wieder errichtet werden. Diese Gegend sei wesentlich weniger erdbebengefährdet. Unterstützung findet Henrys beim britischen Architekten John McAslan, der für die Clinton Global Initiative in den letzten Jahren Schulen in Haiti geplant hat.

McAslan arbeitet derzeit an der Blaupause für ein neues Port-au-Prince, mit erdbebensicheren Gebäuden. Aber solange die haitianische Regierung keine konkreten Entscheidungen über den Wiederaufbau der Stadt und vor allem über den Standort trifft, sind die schönsten Pläne Makulatur. Aus dem provisorischen Regierungssitz, der sich in der Polizeistation unweit des internationalen Flughafens befindet, ist in der Angelegenheit aber nichts zu erfahren: »Kein Kommentar«, heißt es nur. Zwar sind die beiden ersten Gelände von der Größe von 800 Fußballfeldern für eine provisorische Obdachlosensiedlung im Osten von Port-au-Prince ausgeguckt, die Eigentumsrechte sind allerdings nicht geklärt und niemand möchte die Verantwortung übernehmen, mögliche Besitzer entschädigen zu müssen. Es bleibt vorerst alles, wie es ist. Ein einziges Provisorium, in dem die Erdbebenopfer leben müssen.

Während die Regierung von Premierminister Jean-Max Bellerive und der haitianische Staatspräsident Réne Préval hoffen, dass die internationalen Hilfsgelder beim Wiederaufbau der zerstörten Hauptstadt helfen, werden derweil Fakten geschaffen, die vermutlich einen wirklichen Neuanfang erschweren werden. Zwar haben noch immer viele Haitianer Angst, nachts in ihren Häusern zu schlafen, aber längst beginnen die Ersten damit, die weniger beschädigten Häuser und Appartements wieder zu beziehen und die Schäden auszubessern. Die Spezialisten der Vereinten Nationen, welche die Schäden an den Gebäuden untersuchen und Gutachten über die Bewohnbarkeit der Häuser abgeben, sind hoffnungslos überlastet.

* Aus: Neues Deutschland, 31. März 2010


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