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Regierung will Kontrolle

Haitis Präsident René Préval bedankt sich in Washington und kritisiert die Arbeit der internationalen Hilfsorganisationen

Von André Scheer *

Auch zwei Monate nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar müssen Hunderttausende Opfer der Naturkatastrophe in Haiti unter freiem Himmel oder Plastikplanen übernachten. Erst die Hälfte der 1,3 Millionen Obdachlosen hat Zuflucht in einer Notunterkunft gefunden, teilte der zuständige Koordinator des Roten Kreuzes, Gregg McDonald, am vergangenen Sonntag in der Hauptstadt Port-au-Prince mit. Die Hilfsorganisation rechnet nicht vor dem 1. Mai damit, allen Opfern zumindest Behelfsunterkünfte zur Verfügung stellen zu können. Trotzdem will Haitis Präsident René Préval die internationale Hilfe für die Erdbebenopfer zurückfahren. »Wenn Essen und Wasser weiter aus dem Ausland kommen, wird das die nationale Produktion und den haitianischen Handel untergraben«, sagte der Staatschef am Montag in Port-au-Prince kurz vor seiner Abreise nach Washington, wo er sich am Mittwoch mit US-Präsident Barack Obama traf, um, wie es offi­ziell hieß, »der internationalen Gemeinschaft und besonders den USA« für die »spontane Hilfe« nach dem verheerenden Erdbeben zu danken. Nun sei aber die »erste Phase der Katastrophe vorbei«, und seine Landsleute müßten sich wieder daran gewöhnen, selbst für ihre Bedürfnisse aufzukommen.

Die haitianische Regierung stört vor allem, daß ein Großteil der Hilfslieferungen an ihr vorbei über Nichtregierungsorganisationen (NGO) verteilt wird und so eine zentrale Koordina­tion der Hilfe erschwert wird. »Wir wissen nicht, wer den NGOs wieviel Geld gegeben hat. Momentan können wir keinerlei Koordination vornehmen, noch können wir eine kohärente Politik für die Bevölkerung entwickeln«, hatte sich Haitis Ministerpräsident Jean-Max Bellerive bereits in der vergangenen Woche bei einer Pressekonferenz beschwert. Von jedem gespendeten Euro gehe nur ein Cent an seine Regierung. Viele Organisationen hätten ihre Arbeit auf bekanntere Stadtviertel konzentriert, während sich um andere bis heute niemand kümmert. Außerdem neigten die ausländischen Regierungen dazu, Helfer aus dem eigenen Land zu unterstützen, kritisierte Bellerive. Die US-Behörde für Entwicklungshilfe USAID überwies allein 117 Millionen Euro ihrer »Hilfsgelder« direkt an das Pentagon und andere US-Behörden.

Auch Konzerne hoffen nach der Katastrophe in Haiti auf das große Geschäft. Während Préval am Dienstag und Mittwoch in Washington mit Obama und US-Außenministerin Hillary Clinton Höflichkeiten austauschte, brachte sich in Miami die »International Peace Operations Association« (IPOA), ein Dachverband vor allem US-amerikanischer privater Sicherheitsfirmen, mit einem »Haiti-Gipfeltreffen« in Stellung. Zu diesem Verein gehören private Militärunternehmen wie DynCorp, Triple Canopy oder die britische ArmorGroup International, die Söldner in Afghanistan, im Irak und anderen Ländern vermieten. Mehrere IPOA-Mitgliedsfirmen sind bereits in Haiti aktiv. Das läßt die Schriftstellerin Naomi Klein Schlimmes befürchten. Gegenüber der Agentur IPS sagte sie: »Haiti braucht keinen Wiederaufbau nach Schema F, ausgeheckt von derselben Gang, die den Wagen in Irak, Afghanistan und New Orleans vor die Wand gefahren hat, denselben Leuten, die Haitis Wirtschaft im Namen der ›Hilfe‹ kaputt gemacht haben.«

Nichts an der US-Präsenz auszusetzen hat hingegen das Auswärtige Amt in Berlin. »Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es insbesondere der massiven Hilfe der USA für Haiti (…) zu verdanken ist, daß für die haitianische Bevölkerung eine Perspektive im eigenen Land geschaffen wurde«, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Deren Sprecherin für internationale Beziehungen, Sevim Dagdelen, überrascht nicht, daß das Westerwelle-Ministerium damit jedes Eigeninteresse Washingtons abstreitet und dem US-Truppenaufmarsch in Haiti applaudiert: »Damit schlägt sie die Kritik anerkannter Hilfsorganisationen wie auch regierungsnaher Think-tanks in den Wind, wonach die amerikanische Militärpräsenz die humanitäre Hilfe eher behindere, vorwiegend strategischen Interessen diene und die Region zu destabilisieren drohe.«

Unterdessen hat das Krankenhausschiff »Comfort« der US-Marine die Gewässer vor der Küste Haitis verlassen, um nach Hause zurückzukehren. Einer Meldung der Agentur Haití Press Network zufolge wurden bereits seit dem 27. Februar keine Verletzten mehr auf dem Schiff behandelt, obwohl die haitianischen Behörden den medizinischen Notstand bis Mitte April verlängert haben. Auch mehrere tausend US-Soldaten wurden mittlerweile wieder aus dem Karibikstaat abgezogen.

* Aus: junge Welt, 11. März 2010


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