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Kuba hilft Haiti mit langem Atem

Präsident Préval lobt Havanna und Brasília

Von Leo Burghardt, Havanna *

Bei der UNO-Geberkonferenz für Haiti wurden vergangene Woche insgesamt 9,9 Milliarden Dollar an finanzieller Unterstützung zugesagt. Ob die Zusagen eingehalten werden, bleibt offen. Sicher ist hingegen, dass Kuba in Haiti schon lange vor dem Erdbeben geholfen hat und weiter helfen wird.

Als wenige Tage nach dem Erdbebenhorror in Haiti die Zeitschriften und Nachrichtenmagazine der westlichen Welt ihre ersten bebilderten Berichte veröffentlichten, vermittelten sie eine Ahnung von dem Grauen, das sich dort abgespielt hatte. Mehr ging nicht. Oder doch? Warum vergaßen sie durch die Bank die kubanischen Mediziner und ihre Helfer zu erwähnen, die sofort zur Stelle waren? 112 hatten schon Monate zuvor im Nachbarland, in dem auf 10 000 Bewohner zwei Ärzte kamen und 80 Prozent des medizinischen Geräts Schrott sind, ihre Zelte aufgeschlagen. Auch nachdem sich binnen weniger Tage 1400 Kubaner durch die Trümmer gewühlt und Hunderte Verschüttete befreit hatten, um sie in den ebenfalls eingeflogenen provisorischen Lazaretten zu behandeln, waren sie nur einer Handvoll Korrespondenten aufgefallen und ein paar Zeilen wert.

Über die Nothilfe hinaus macht sich Havanna um den Aufbau langfristiger Strukturen verdient. Brasilien und Kuba werden Haiti helfen, eine moderne Struktur der epidemiologischen Überwachung aufzubauen, unentgeltlich. Für Präsident René Préval war das dieser Tage während einer Feierstunde große Lobeshymnen wert. Die Experten kann Haiti nach und nach selbst stellen. Unter den 30 000 Studenten, die an der 1998 in der Nähe von Havanna eingerichteten lateinamerikanischen Hochschule für Medizin immatrikuliert sind oder waren, befinden sich auch viele Haitianer. Die Zulassung zum Studium, das gratis ist, verpflichtet die zukünftigen Ärzte, mindestens fünf Jahre dort zu praktizieren, woher sie gekommen sind. Das heißt, in den entlegensten, ärmsten Gegenden ihrer Heimatländer. Diese Verpflichtung hat sich bisher bewährt.

Kuba »das solidarischste Land der Welt« (Nelson Mandela), hat seit Jahrzehnten weder Mittel noch Mühe gescheut, um seine Erfahrungen zur Schadensbegrenzung weiterzugeben. Wenn es arme Länder sind, dann ebenfalls gratis. Nach Hurrikans, Erdbeben, Naturkatastrophen überhaupt, oder Havarien, zum Beispiel vor 24 Jahren, nach dem Gau von Tschernobyl. Der spätere Präsident der Ukraine Leonid Kutschma erinnerte sich, er war jüngst bei einer Feierstunde hier zugegen: »Andere Länder, reiche Nationen sprachen ihr Beileid aus, Kuba half.« Es funktionierte sein Pionierlager »Tarara« vor den Toren Havannas zu einem weiträumigen Klinikum um, in dem vor allem Kinder behandelt wurden – bis zum heutigen Tag 24 000. Sie leiden oder litten hauptsächlich an Haut- und Schilddrüsenkrebs. Die Doktoren für Kinderpsychiatrie hatten rund um die Uhr zu tun, wobei ihnen, wie sie selbst sagen, die herrliche friedliche Umgebung direkt am Meer unschätzbare Dienste leistete. Noch heute kommen Patienten, denn die nach der Explosion freigesetzten Cäsium-137-Isotope haben eine Halbwertzeit von 30 Jahren.

Für Hunderttausende Arme von den Anden bis zum Himalaja sei das Erbe, das Fidel Castro hinterlässt, nicht die bewaffnete Revolution, sondern dass sie ihre Sehkraft wiedererlangt sowie Lesen und Schreiben gelernt haben, meinte ein bolivianischer Leitartikler. Die erste Mission kubanischer Ärzte wurde vor 46 Jahren nach Algerien entsandt. Bis heute waren schätzungsweise 100 000 dieser Helfer in Weiß in 81 Ländern eingesetzt. Das mache es für die USA schwieriger, ein Volk zu vernichten, das allein in Lateinamerika einer Million Menschen das Augenlicht wiedergegeben hat, prophezeite Fidel Castro im August 2006.

Der guatemaltekische Arzt Aspiaga sagte einem Reporter: »1976 tötete in unserem Land ein Erdbeben 23 000 Menschen. 1998 der Hurrikan ›Mitch‹ wahrscheinlich ebenso viele oder noch mehr. Und jetzt (im Oktober 2005) der Hurrikan ›Stan‹. Solche Katastrophen hinterlassen bei den Überlebenden schweren traumatischen Stress. Niemand kümmerte sich um sie. Sie sind immer Opfer. Sie können sich nicht aussuchen, wo sie wohnen wollen, und sie leben, wie es mal gerade so geht, chancenlos, vergessen, Schicksalsschlägen hilflos ausgesetzt. Und dann kommen auf einmal die Kubaner. Verstehen Sie, dass man sie als vom Himmel geschickt empfindet?« Bei ihren Missionen haben Kubaner laut Weltgesundheitsorganisation mindesten einer Millionen Menschen das Leben gerettet. Die Resonanz in der westlichen Welt hält sich in engen Grenzen.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2010


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