Schwere Aufgabe für Préval
Haitis Präsident tritt am Sonntag sein Amt an
Von Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo*
Nach zwei Jahren UN-überwachtem Übergang tritt am Sonntag (14. Mai 2006) der neue, im Februar gewählte Präsident von Haiti sein Amt an: René Préval.
Am Anfang steht der Eid: Vor den Parlamentsmitgliedern wird René Préval García darauf schwören,
die Verfassung des Landes einzuhalten und zum Wohl der rund 8,6 Millionen Einwohner sein Amt
auszuüben. Der 63-Jährige wird gewählter Nachfolger von Jean-Bertrand Aristide. Der ehemalige
Armenpriester lebt seit Februar 2004 nach einer Rebellion im südafrikanischen Exil. Der Amtsantritt
von Préval soll einen Schlussstrich unter die politische und soziale Krise im Armenhaus
Lateinamerikas ziehen. Symbolhaft warf aber schon die konstituierende Sitzung der Deputierten
Schatten. Als sich die Abgeordneten der zweiten Kammer am Dienstag trafen, brannten Kerzen im
Saal. In der Innenstadt war aufgrund von Energieproblemen das Licht vorübergehend abgestellt
worden. Aber auch nicht alle Volksvertreter waren gekommen. 14 Sessel bleiben vorerst unbesetzt –
aufgrund von Klagen gegen das jeweilige Wahlergebnis. Auch drei Senatorensitze sind noch nicht
bestätigt. Die Wahlen sollen im Laufe des Jahres erfolgen.
Viel gravierender ist allerdings für den Agrarökonomen aus dem kleinen Ort Marmelade die
Mehrheitssituation in der Deputiertenkammer und im Senat. Nach dem zweiten Urnengang im April
hat Prévals Wahlbündnis Lespwa, »Hoffnung« in der Landessprache Kreol, in beiden Häusern keine
ausreichende Mehrheit, um aus eigener Kraft ihr »Armutsbekämpfungsprogramm« umzusetzen. Nur
rund 30 Prozent der rund 3,5 Millionen Wahlberechtigten hatten überhaupt ihre Stimme abgegeben.
Von den 30 Senatoren gehören nur elf Prévals Hoffnungspartei an, und bei den 99 Deputierten kann
sich der von 1996 bis 2000 schon einmal amtierende Staatschef nur auf ein Fünftel der
Abgeordneten stützen.
Préval wird Bündnispartner suchen und dabei politische Zugeständnisse machen müssen. Allerdings
verfügt keine der anderen Parteien über mehr als vier Sitze im Senat. Fanmi Lavalas selbst besetzt
nur drei Senats- und sechs Kongresssitze. Préval, der einst mit Aristide zusammen die »Lavalas«,
die Erdrutsch-Bewegung, gründete, ist in Zukunft auf die Unterstützung von mehrere politischen
Gruppierungen angewiesen, die ihn im Wahlgang als »Wiedergänger Aristides« scharf angegriffen
haben. Die Organisation du Peuple en Lutte (OPL), die Kämpfende Volksbewegung, gehörte selbst
einst zu Lavalas, stellt aber nur vier Senatoren und 18 Deputierte. Allein mit Hilfe der
sozialdemokratischen Fusions-Partei (3/15) wird Préval so Gesetzesinitiativen mit der erforderlichen
Mehrheit im Parlament und im Senat durchsetzen können.
Préval, der eigentlich angekündigt hatte, handeln und nicht nur reden zu wollen, wird sein ganzes
taktisches Geschick benötigen, um die gegnerischen Parteien zu Zweckbündnissen
zusammenzubringen. Keine gute Voraussetzung für das sozialpolitische Titanenwerk, das er zu
bewältigen hat: Drei Viertel der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze von einem US-Dollar am
Tag, mehr als 50 Prozent müssen sogar mit weniger als 40 Eurocent pro Tag auskommen. Der
Lebensalltag in den Armenvierteln ist von Gewalt geprägt, für Sicherheit sollen seit Juni 2004 mehr
als 9000 Blauhelm-Soldaten und -Polizisten der Vereinten Nationen sorgen.
In den letzten Wochen hat der neue Präsident Haitis ein umfangreiches Reiseprogramm absolviert,
um internationale Unterstützung zu suchen. Kofi Annan hat ihn empfangen, George W. Bush
allgemein Hilfe versprochen. Fidel Castro hat zugesagt, weitere Ärzte in die bäuerlichen
Bergregionen des Landes zu entsenden. Schon heute wird die Gesundheitsversorgung auf dem
Land fast ausschließlich durch medizinisches Personal von der größten Karibikinsel garantiert. Mit
offenen Armen nahm Hugo Chávez den bärtigen René Préval in die von Venezuela angeführte
karibische Gemeinschaft von Petro Caribe auf. Künftig soll auch Haiti, das sich mit der
Dominikanischen Republik die zweitgrößte Antilleninsel Hispaniola teilt, mit venezolanischem Öl zu
Vorzugspreisen beliefert werden.
* Aus: Neues Deutschland, 13. Mai 2006
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