Chaos, Armut, Gewalt
Haiti: UN-Delegation soll Sicherheitsrat berichten
Von Marcela Valente (IPS), Buenos Aires*
Armut und Gewalt beherrschen das Leben der Menschen in Haiti. Manchmal, wie Donnerstag abend (Ortszeit), als der dritte UN-Soldat innerhalb eines Monats durch einen Kopfschuß getötet wurde, taucht die elende Lage in den Massenmedien auf. Oder wenn sich eine Abordnung der Vereinten Nationen ein Bild von den »Befriedungsaktionen« ihrer 7400 Mann starken Blauhelmtruppe namens MINUSTAH verschaffen will, wie ebenfalls seit Donnerstag: Deren Ergebnisse sollen am kommenden Mittwoch vom UN-Sicherheitsrat in New York behandelt werden. Dabei könnten tatsächlich bittere Wahrheiten zur Sprache kommen und das ansonsten vorherrschende Schweigen über Haiti durchbrechen.
Nobelpreisträger klagt an
Einen Vorgeschmack auf den UN-Bericht lieferte jüngst eine international besetzte unabhängige Beobachtermission von Menschenrechtsaktivisten. Sie hielt sich eine Woche lang in dem Inselstaat auf, und warnte nun vor einer Verschärfung der Krise. Der argentinische Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, der gemeinsam mit Nora Cortiñas, Präsidentin und Mitbegründerin der Gruppe »Mütter der Plaza de Mayo« die Delegation leitete, sprach in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince von einer Situation, die immer weiter aus dem Ruder läuft. »Die Regierung existiert eher symbolisch und unternimmt nichts gegen die Vielzahl der Probleme. Auf den Straßen liefern sich bewaffnete Polizeibanden immer wieder Schießereien mit Drogenhändlern und anderen Kriminellen.« Cortiñas beklagte vor allem die Zustände in steuerfreien Gewerbezonen: »Hier müssen Arbeiter unter Bedingungen schuften, die an Sklaverei grenzen.« Zudem komme es im ganzen Land ständig zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen. Die Delegation hatte unter anderem Gefängnisse besucht. »Hier werden mehr als 1 000 politische Gefangene festgehalten, die bislang kein Gericht verurteilt hat«, berichtete Pérez Esquivel.
Derweil bestritt der von den USA eingesetzte Interims-Ministerpräsident Gérard Latortue, der am Donnerstag auch den UN-Gesandten Juan Gabriel Valdes seine Sicht der Dinge darstellte, die Aussagen der Aktivistengruppe. Sie träfen nicht zu. Dem widersprach jedoch Louis Jounet. Der in Haiti als unabhängiger Menschenrechtsexperte für die UN arbeitende französische Richter berichtete, daß die Justiz praktisch machtlos sei und Politiker straflos agieren können, wie sie wollen. Inzwischen stehen auch die für Oktober und November geplanten Wahlen in Frage. Diese sollten wesentlich zur Stabilisierung der Verhältnisse beitragen.
UN-Truppe unter Verdacht
Das Chaos in Haiti begann im Februar 2004 mit dem Sturz des gewählten Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide. Seitdem werden weite Teile des Landes von bewaffneten Banden und ehemaligen Soldaten der einst von Aristide aufgelösten Armee kontrolliert. Eigentlich sollte nach der mysteriösen Abreise Aristides in einem US-Flugzeug – er selbst sagte später, er sei nach einem von den USA und Frankreich inszenierten Putsch entführt - zunächst eine unter Pentagon-Kommando stehende Besatzungstruppe »Ruhe und Ordnung« herstellen. Diese wurde dann im Juni 2004 durch die UN-Soldaten der MINUSTAH ersetzt, um Haiti »befrieden« – so ihr offizieller Auftrag. Doch steht die von Brasilien geführte Truppe inzwischen selbst unter heftiger Kritik. Unter anderem wurde Pérez Esquivel berichtet, daß MINUSTAH-Angehörige an Vergewaltigungen, Mißhandlungen und Folter beteiligt gewesen seien. Offizielle Bestätigungen für diese Aussagen gebe es jedoch nicht. Insgesamt befürchtet Esquivel eine weitere Zuspitzung der Lage, denn schon jetzt seien Hunger und Armut groß.
Die Aktivistendelegation will nun ihre Beobachtungen in einem Bericht sammeln und ihn den Vereinten Nationen sowie den MINUSTAH-Teilnehmerländern vorlegen.
*Aus: junge Welt, 16. April 2005
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