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Kabinett in Den Haag geplatzt

Rechtspopulist Wilders kündigt Koalition auf und fordert Neuwahlen

Von Gerrit Hoekman *

Die niederländische Minderheitsregierung von Premierminister Mark Rutte steht vor dem Aus. Die Koalition aus Rechtsliberalen und Christdemokraten findet für ihren Haushalt offenbar keine Mehrheit im Parlament. Bislang konnte sich das Kabinett, das seit 2010 im Amt ist, bei wichtigen Entscheidungen auf die Stimmen der Freiheitspartei (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders verlassen, doch am Samstag kündigte das Enfant terrible der niederländischen Politik die Zusammenarbeit überraschend auf. »Die Entscheidung ist definitiv«, sagte Wilders gegenüber der Presse und forderte Neuwahlen.

Seit Anfang März verhandelte die Koalition mit Wilders insgesamt 127 Stunden über einen Haushaltsentwurf, der Einsparungen in Höhe von rund 14 Milliarden Euro vorsieht. Die Europäische Union hatte von Den Haag gefordert, das Etatdefizit für 2013 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verringern. Um dieses Ziel zu erreichen, will Rutte unter anderem die Löhne einfrieren, das Renteneintrittsalter bis 2015 auf 66 Jahre anheben und eine Rezeptgebühr einführen. Wilders spricht nun von einem Diktat aus Brüssel, dem sich seine Partei nicht unterwerfen werde. Der Plan der Regierung gefährde das Wirtschaftswachstum und führe zu höherer Arbeitslosigkeit.

Auch Premierminister Rutte hält inzwischen Neuwahlen für die logische Lösung der Krise. Er hat die niederländische Königin bereits über die Lage informiert und will heute das Kabinett in Den Haag zusammenrufen, um über die verfahrene Situation zu beraten. Man sei, so Rutte, kurz davor gewesen, sich zu einigen, doch dann habe die Freiheitspartei die Verhandlungen überraschend platzen lassen. Aus den Reihen der Christdemokraten, Ruttes Koalitionspartner, ist zu hören, daß sich die Regierung bei anderen Parteien der Opposition die fehlenden Stimmen im Parlament holen könnte, zum Beispiel bei den Sozialdemokraten.

Kommentatoren vermuten, daß die in letzter Zeit schlechter werdenden Umfrageergebnisse für die Freiheitspartei Wilders bewogen haben könnten, die Verhandlungen platzen zu lassen und klare Kante zu zeigen. Wie auch schon andere Parteien vor ihr macht die PVV im Moment die Erfahrung, daß die Wähler die Tolerierung einer Minderheitsregierung selten belohnen. Politische Beobachter in Den Haag schließen indes noch nicht völlig aus, daß die Freiheitspartei an den Verhandlungstisch zurückkehrt.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. April 2012


Wilders lässt's wackeln

Niederländische Regierung vor dem Aus **

Geert Wilders bleibt stur. Kein Kniefall vor Brüssels Spardiktat, verlangt er. Das stürzt die Regierung der Niederlande in die Krise. Sie braucht seine Zustimmung. Ihr Ende droht.

Die niederländische Regierung steht vor dem Aus. Bereits an diesem Montagabend könnte Ministerpräsident Mark Rutte zurücktreten und den Weg zu Neuwahlen freimachen. Seine bürgerliche Koalition ist im Parlament auf Stimmen der rechtspopulistischen Freiheitspartei PVV angewiesen. Doch deren Führer Geert Wilders lehnt geplante Kürzungen des Haushalts zur Einhaltung des EU-Stabilitätspaktes strikt ab.

Am Sonnabend brach die PVV die wochenlangen Verhandlungen über die Haushaltskürzungen ab. Rutte wollte nach Medienberichten nun an diesem Montag das Kabinett zu einer Krisensitzung zusammenrufen. In Regierungskreisen wurde spekuliert, der Chef der erst vor eineinhalb Jahren gebildeten Mitte-Rechts-Minderheitsregierung werde zurücktreten.

Bei den Haushaltsgesprächen war über die Wege zur Senkung des Etatdefizits verhandelt worden. Rutte will die Ausgaben um 15 Milliarden Euro kürzen. »Im letzten Moment zeigte sich die PVV schockiert über die Konsequenzen von bereits zuvor getroffenen Vereinbarungen«, sagte Rutte nach Abbruch der Gespräche. Der Euroskeptiker Wilder wollte sich nicht dem »Diktat aus Brüssel« beugen. »Wahlen sind jetzt der logische nächste Schritt«, sagte Rutte. Auch Wilders forderte Neuwahlen. »Der Bruch ist endgültig«, erklärte er laut PVV-Website. Er könne nicht hinnehmen, dass die Rentner für »nutzlose Forderungen« aus Brüssel zahlten.

Bei den Budgetverhandlungen war es unter anderem um ein Ende von Steuererleichterungen für Hauskredite, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Kürzungen von Sozialleistungen sowie ein Einfrieren der Löhne gegangen. Der Haushaltsplan für 2013-15 sollte bis Ende April in Brüssel vorgelegt werden.

Die Niederlande drohen die Defizit-Obergrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im nächsten Jahr mit 4,6 Prozent deutlich zu verfehlen.

** Aus: neues deutschland, Montag, 23. April 2012

Letzte Meldung

Am Montagnachmittag (23. April) traf Rutte am Königspalast in Den Haag ein. Zwei Stunden später teilte die Regierung mit, Rutte habe der Monarchin den Rücktritt des gesamten Kabinetts angeboten. "Die Königin hat das Angebot zur Kenntnis genommen und die Minister und Staatssekretäre aufgefordert, weiterhin alles zu tun, was nach ihrer Ansicht im Interesse des Königreichs notwendig ist, fügte die Pressestelle der Regierung hinzu.




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