Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wilders auf dem Sprung

Niederlande: Freiheitspartei sieht sich auf Weg zur stärksten Kraft

Von Tobias Müller, Amsterdam *

Rechtspopulist Wilders hat bei den Kommunalwahlen deutliche Erfolge erzielt. In Den Haag wurde seine Partei für die Freiheit zweitstärkste Partei, in Almere sogar stärkste. Die Abstimmung gilt als Stimmungsbarometer für die Parlamentswahl im Juni.

Der Erfolg der Rechtspopulisten von Geert Wilders stellte bei den niederländischen Gemeinderatswahlen alles andere in den Schatten: Mit 17,6 Prozent wurde die PVV zweitstärkste Partei in Den Haag. Sie musste sich am Regierungssitz lediglich den Sozialdemokraten knapp geschlagen geben. In Almere landete sie mit 21,6 Prozent gar auf dem ersten Platz.

Wilders befand sich sichtlich im Höhenrausch – und das im flachen Polder. Dort, wo einmal das Ijsselmeer war und heute die Stadt Almere, in den 1970ern gegründet, in den meist verhangenen Himmel ragt. »Was in Almere und Den Haag möglich ist, ist auch im ganzen Land möglich«, jubelte der Gründer der umstrittenen Partij voor de Vrijheid am späten Mittwochabend. Diese Ergebnisse bestätigen den anhaltenden Aufwärtstrend der PVV, die wegen ihrer drastischen Standpunkte zum Islam ständig in den Schlagzeilen steht, und deren Gründer Wilders sich wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten muss. Auch im Vorfeld der Kommunalwahl hatten die PVV-Kandidaten als wichtigstes Ziel ein Kopftuchverbot in städtischen Einrichtungen gefordert. In Almere stand zudem das Thema Sicherheit im Vordergrund. Mit einer Streichung von 15 Prozent der öffentlichen Verwaltungsstellen will man dort Patrouillen finanzieren, die als »Stadtkommandos« mit »weitreichenden Befugnissen« die Polizei unterstützen sollen. Bereits zum zweiten Mal nach der Europawahl von 2009 gewann die PVV eine Wahl in Almere – wenn auch nicht so deutlich wie erwartet: Umfragen hatten ihr vor dem Votum 30 Prozent voraus gesagt.

Verluste brachten die Wahlen zwei Wochen nach dem Sturz der Regierung in Den Haag dagegen den Christ- und insbesondere den Sozialdemokraten. Die PvdA, die 2006 mit 23 Prozent ein starkes Ergebnis erzielte, stürzte auf unter 16 Prozent Nach Einbußen von mehr als 600 Sitzen behält sie bei 93,5 Prozent aller ausgezählten Stimmen vorläufig 1174 der insgesamt 8700 Sitze in Gemeinderäten. Da Umfragen diese Verluste im Vorfeld noch drastischer gesehen hatten, war die Stimmung bei der PvdA aber immer noch besser als bei den Christdemokraten. Für den CDA brachte der Stimmenverlaust ein Absacken von 18,5 auf 16,5 Prozent. Gleichzeitig jedoch befinden sich die Sozialdemokraten landesweit wieder im Aufwärtstrend, seit sie die gemeinsame Regierung mit dem CDA verließen. Der kommissarisch amtierende Premier Jan-Peter Balkenende räumte am Donnerstag einen Zusammenhang zwischen dem schlechten Ergebnis der Kommunalwahlen und dem Fall seines Kabinetts ein.

Freude gab es dagegen bei zwei liberalen Parteien: auf der linken Seite legten die Democraten66 (D66) von 133 auf 495 Sitze zu und wurden in Leiden zur größten Partei. Auf der rechten verbesserte sich die VVD von 1119 auf 1311 Sitze. Beide bestätigten damit die Landestrends, die ihnen zuletzt deutliche Gewinne voraussagten. Gleiches gilt für GroenLinks, die von 359 auf 393 Sitze stiegen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2010


Wilders Wahl

Von Olaf Standke *

Gab es in den Niederlanden einen Rechtsruck? Auch wenn es nur lokale Abstimmungen waren und die nackten Zahlen aus allen Kommunen das eigentlich nicht nahe legen – gefühlt ja. 394 Gemeinderäte standen zur Wahl. Geert Wilders ist mit seiner Partei für die Freiheit in Den Haag zweitstärkste Kraft geworden, in Almere die Nr. 1. Schon bei den Europawahlen im Vorjahr hatte die PVV in beiden Städten besonders gut abgeschnitten. Dieses Mal trat man überhaupt nur dort an. Ein geschickter Schachzug, denn auch deshalb wird die Rechtspartei als großer Wahlsieger wahrgenommen, obwohl auch andere wie die linksliberale D66 oder die linke Umweltpartei GroenLinks zulegen konnten. Für Wilders ist die Botschaft wichtig: »Was in Den Haag und Almere geschah, ist überall möglich.« Er hat nach dem Bruch der Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten die vorgezogenen Parlamentswahlen am 9. Juni im Visier. Und landesweite Umfragen sehen ihn mit seiner erst 2006 gegründeten »autoritär geführten, neo-rechtsradikalen Organisation« – so Politologen der Universität Tilburg – tatsächlich auf dem Vormarsch. Fast die Hälfte der Wilders-Wähler will laut Umfragen mit dem Votum gegen soziale Folgen der Wirtschaftskrise, Probleme bei der Ausländerintegration und zunehmende Kriminalität protestieren. Hier müssen die anderen Parteien schnell überzeugende Antworten jenseits der brandgefährlichen Anti-Islam-Parolen Wilders' finden.

** Aus: Neues Deutschland, 5. März 2010 (Kommentar)


Zurück zur Holland-Seite (Niederlande)

Zur Seite "Rassismus, Rechtsradikalismus, Neofaschismus"

Zurück zur Homepage