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Honduras feiert den Widerstand

Ein Jahr nach dem Putsch gegen die Regierung Zelaya Proteste im Land und weltweit

Von Harald Neuber *

Ein Jahr nach dem Militärputsch in Honduras zeigt sich der ehemalige Diktator Roberto Micheletti uneinsichtig. Die größte Gefahr in der Region sei nach wie vor Venezuelas Präsident Hugo Chávez und der von ihm deklarierte Sozialismus des 21. Jahrhunderts, so Micheletti, der am 28. Juni 2009 führend am Sturz des letzten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Manuel Zelaya, beteiligt war.

Der Putsch gegen Zelaya vor einem Jahr war unter anderem mit dessen Annäherung an Venezuela und das linke Staatenbündnis ALBA begründet worden. Er bereue den Staatsstreich jedenfalls nicht, versicherte Robert Micheletti am Rande eines Treffens von Unternehmern und ultrarechter Gruppen in San Salvador vor wenigen Tagen. Die Mehrheit der Bevölkerung sowie Demokratie- und Menschenrechtsaktivisten weltweit sehen das anders. Für den heutigen ersten Jahrestag des Putsches sind in Honduras zahlreiche Proteste angekündigt worden, berichtete am Wochenende die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina. Auch in anderen Staaten - selbst in Kanada und Europa - sind Kundgebungen gegen das Putschregime geplant, das unter wechselnder Führung fast 200 politische Morde zu verantworten hat. Allein im März waren in dem mittelamerikanischen Land fünf Journalisten ermordet worden.

Am heutigen Montag (28. Juni) jähre sich nicht nur der Putsch gegen die Regierung von Präsident Manuel Zelaya, so Edgar Soriano im Gespräch mit ND. »Es ist auch der erste Jahrestag unseres Widerstandes, in dessen Rahmen sich die Bevölkerung in den Städten und auf dem Land jeden Tag organisiert«, betont der Europasprecher der neu gegründeten internationalen Kommission der »Nationalen Front des Volkswiderstandes« (FNRP), des zentralen Bündnisses der Demokratiebewegung. Und der Widerstand gegen das Putschregime, dem derzeit der Unternehmer Porfirio Lobo vorsteht, wachse von Tag zu Tag.

In der Tat ist es den Machthabern trotz systematischer Repression nicht gelungen, die Demokratiebewegung zu brechen. Nach den Massenprotesten der ersten Wochen und Monate nach dem Putsch ist die FRNP zu einer langfristigen Strategie übergegangen. Ziel bleibt die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung. Eben jenes Vorhaben hat Zelaya vor einem Jahr das Amt gekostet.

Zugleich setzt die Demokratie- und Widerstandsbewegung das Lobo-Regime unter Druck. Auf die Gründung einer Wahrheitskommission Anfang Mai unter Führung des rechtsgerichteten guatemaltekischen Diplomaten Eduardo Stein reagierte sie mit der Einrichtung eines eigenen Gremiums, das am heutigen Montag seine Arbeit aufnimmt. Dieser Wahrheitskommission gehört neben zwei Honduranern auch der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel an. Die staatliche Kommission, heißt es in einem Kommuniqué der Widerstandsfront, sei schließlich nur geschaffen worden, um den Staatsstreich zu legitimieren. So steht im Auftrag der Regierungskommission, sie solle »die Gründe untersuchen, die zum Putsch geführt haben«. Aktivisten der Demokratiebewegung befürchten wegen dieser Formulierung, dass am Ende die Version der Umstürzler unterstützt wird, Zelaya habe aus seinem Amt beseitigt werden müssen, weil er mit der geplanten Reform der Verfassung den Rechtsstaat bedroht hätte.

Derart skurrile Darlegungen überzeugen in Amerika niemanden. Das honduranische Putschregime wird lediglich von den USA und einigen wenigen rechtsgerichteten Führungen der Region anerkannt. Unterstützung kommt nach Kräften aber auch aus der EU - und Deutschland. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung gehört nach wie vor zu den engsten Fürsprechern der Putschisten. Unter Guido Westerwelle hat sich diese Linie auch im Berliner Außenministerium durchgesetzt. Stillschweigend hat das Außenamt den Namen des legitimen Botschafters Roberto Martínez, eines Gegners des Putsches, von der Länderseite genommen. Als Ansprechpartnerin wird nun Botschaftsrätin Vania Garcia genannt. Sie hatte den Putsch unterstützt.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juni 2010


Honduras neu gründen

Ein Jahr nach dem Putsch gegen Präsident Zelaya ruft die Widerstandsbewegung zu Streiks und Demonstrationen auf

Von André Scheer **

Mit einem landesweiten Streik und großen Demonstrationen erinnert die Widerstandsbewegung in Honduras heute (28. Juni) an den Staatsstreich vor einem Jahr. Am 28.Juni 2009 waren vermummte Soldaten in die Residenz des demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya eingedrungen und hatten ihn in ein Flugzeug verschleppt, das ihn nach Costa Rica brachte. Der honduranische Kongreß »legalisierte« den Putsch, indem er nur Stunden nach dem Überfall Parlamentspräsident Roberto Micheletti zum neuen Staatschef wählte - bei einer Sitzung, zu der linke und liberale Abgeordnete, deren Unterstützung für die Politik Zelayas bekannt war, gar nicht erst eingeladen wurden. Ein Jahr danach will die unmittelbar nach dem Staatsstreich gebildete Nationale Front des Volkswiderstandes (FNRP), ein Bündnis aus Gewerkschaften, feministischen und linken Organisationen sowie Menschenrechtsgruppen, die »Geburt der wirklichen Volksdemokratie« feiern. Die honduranische Oppositionsbewegung habe den Weg zu einer Neugründung des Staates und zum Aufbau einer gerechten Zukunft eröffnet, heißt es in einer Erklärung des Bündnisses.

Auslöser für den Putsch war das Bestreben der rechtmäßigen Regierung und einer breiten Basisbewegung gewesen, durch die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung die noch aus der Zeit der Militärdiktaturen stammenden Grundlagen des Staates zu verändern. Dazu sollte heute vor einem Jahr eine nicht bindende Volksbefragung durchgeführt werden, ob die Honduraner parallel zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im November auch in einer »vierten Urne« über die Einbestellung der Constituyente abstimmen wollten. Durch den Staatsstreich nur wenige Stunden vor Beginn der Abstimmungen wurde diese verhindert. Während vor allem in Lateinamerika der Umsturz sofort umfassend verurteilt und die Mitgliedschaft des Landes in internationalen Zusammenschlüssen wie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) suspendiert wurde, fanden sich unter anderem in Deutschland offene Unterstützer für die Aufrührer. Besonders die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung verteidigte den Putsch vorbehaltlos, und die Liberale Internationale wählte Micheletti sogar zu einem ihrer Vizepräsidenten.

Bis heute hat Honduras nicht zur Normalität zurückgefunden. Die Lehrergewerkschaften, die schon kurz nach dem Staatsstreich eine der Säulen der Widerstandsbewegung waren, traten in der vergangenen Woche wieder in den Streik, weil das Regime jeden Dialog über Lohnerhöhungen verweigert. Todesschwadronen machen Jagd auf Aktivisten der Opposition und kritische Medienleute. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation CEJIL fielen seit dem Putsch acht Journalisten Mordanschlägen zum Opfer. Auch der Gewerkschafter Jairo Sánchez, der nach dem Putsch nach Spanien flüchten mußte, bestätigt die anhaltende Repression. Gegenüber der spanischen Tageszeitung 20 minutos sagte er, die meisten Morde an Putschgegnern habe es nach der Amtsübernahme durch Porfirio Lobo Ende Januar gegeben. »Sie ermorden, wen sie wollen, und mehr als 90 Prozent der Medien werden von ihnen kontrolliert, nicht nur, um die Verbrechen zu verschweigen, sondern auch, um Angst und Schrecken zu verbreiten.«

** Aus: junge Welt, 28. Juni 2010

Ein Jahr nach dem Putsch: Tausende demonstrieren in Honduras ***

Trotz eines massiven Militär- und Polizeiaufgebots sind am Montag aus Anlaß des ersten Jahrestages des Putsches gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya Tausende Menschen in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa und anderen Städten des zentralamerikanischen Landes auf die Straße gegangen. Zu den Aktionen hatte die Nationale Widerstandsfront FNRP aufgerufen. Dieses Bündnis hatte sich vor einem Jahr spontan nur Stunden nach dem Staatsstreich gebildet und umfaßt unter anderem Gewerkschaften, linke Organisationen und Menschenrechtsvereinigungen. Der frühere Präsidentschaftskandidat Carlos H. Reyes kritisierte die massive Präsenz der Sicherheitskräfte als Versuch des Regimes, die Bevölkerung einzuschüchtern. »Aber wir Honduraner dürfen keine Angst haben«, unterstrich er.

In einer offiziellen Erklärung bekräftigte auch das antiimperialistische Staatenbündnis ALBA seine Solidarität mit dem honduranischen Volk und forderte die Wiederherstellung der Demokratie.

*** Aus: junge Welt, 30. Juni 2010


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