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Krieg gegen die Bauern von Bajo Aguán

Militarisierung der Gesellschaft hat in Honduras seit dem Putsch 2009 deutlich zugenommen

Von Kathrin Zeiske *

Für die internationale Öffentlichkeit ist der Putsch gegen den linken honduranischen Präsidenten José Manuel Zelaya im Juni 2009 schon Geschichte. Für die sozialen Bewegungen in Honduras hat die Repression indes neue Dimensionen erreicht. Das gilt auch für Bajo Aguán im Norden.

In Bajo Aguán, der fruchtbaren Region im nordhonduranischen Departamento Colón, hat sich der Landkonflikt zwischen Bauerngenossenschaften, Staat und einer knappen Handvoll Großgrundbesitzer nach dem Putsch zugespitzt. Seit Ende vergangenen Jahres lebt die Bevölkerung im Ausnahmezustand. Bis heute wurden 23 Angehörige örtlicher Bauerngewerkschaften und zwei Journalisten ermordet. Der Terror geht auf das Konto privater Sicherheitsleute des wohl größten Agrarunternehmers von Honduras. Miguel Facussé lässt in der Region am Fluss Aguán ausgedehnte Palmölplantagen bewirtschaften, die von der Weltbank gefördert werden. Und die De-facto-Regierung Porfirio Lobos setzt zum Schutz seiner Interessen das Militär in Marsch.

»Facussé hat unser Land geklaut«

Den jungen Männern, die die orange-gelben Palmfrüchte aus dem Lastwagen hieven, läuft der Schweiß am nackten Oberkörper herunter. Mit Eisenstangen stechen sie in die schweren Stauden und wuchten sie unter großer Kraftanstrengung auf den Boden einer ausladenden Scheune. Derweil prasselt ein tropischer Regenguss auf den schlammigen Hof der Finca herunter.

»Die Palmen bringen viel Geld, mehr als alles, was früher hier angebaut wurde«, weiß Anastasio Guzmán und liest mit seinen faltigen Händen einige der harten kleinen Früchte auf, die gerade geerntet wurden. Er hat ein freundliches Lächeln, auch wenn ihm schon ein paar Zähne fehlen. »Einst war das hier ›La Concepción‹. Aber seit wir die alten Fincagebäude bezogen haben, heißen sie nach diesem Datum ›5. Januar 2010‹«, erläutert er. Anastasio Guzmán gehört der Vereinten Bauernbewegung Aguán (MUCA) an.

Die von der MUCA im Dezember 2009 besetzten 26 Fincas wurden schon früher einmal kollektiv bewirtschaftet. Denn nach einer Agrarreform im Jahre 1972 war der Boden an Kooperativen verteilt worden. Doch im Zuge der »Strukturanpassungsmaßnahmen« in den 90er Jahren hatte der Staat das Land unter Drohungen und mit Tricks zurückgekauft, um es gewinnbringend an Unternehmer zu veräußern. Unter der Regierung Manuel Zelayas war erstmals ein Dialog zwischen Großgrundbesitzern und Bauern eingeleitet worden. Als Zelaya 2009 eine Verfassungsreform einleiten wollte, wurde gegen ihn geputscht. Dieser Staatsstreich zerstörte jede Hoffnung auf eine rechtliche Einigung, worauf die Landbesetzungen begannen.

»Miguel Facussé hat unser Land geklaut, wir haben es uns nur zurückgenommen«, stellt Guzmán fest. Mehrmals schickte der Großunternehmer seine Privatarmee vor, um die Bauern zu vertreiben, doch die kehrten immer wieder zurück. »Zum Glück gab es bisher nie Tote«, schließt der alte Mann und seufzt.

Anders in Guadalupe Carney, wo der unerklärte Krieg gegen die Bauern im vergangenen Jahr allein sechs Todesopfer forderte. Die Gemeinde der Bauernbewegung Aguán (MCA) liegt auf dem Gebiet des ehemaligen CREM, einer Ausbildungsstätte für die Contras, die in den 80er Jahren von den USA gegen das sandinistische Nicaragua aufgerüstet wurden. Nach deren Abzug wurde das Land zu Staatsbesitz erklärt und vom Agrarministerium zunächst an Kooperativen übergeben. Im Jahr 1992 aber nutzten die korrupten Behörden in Trujillo, der Hauptstadt des Departamentos, eine gesetzliche Grauzone und verkauften den Boden – an Miguel Facussé.

»Facussés paramilitärisch organisierte Sicherheitsleute versuchen die Menschen nun von diesem Land zu vertreiben, obwohl die Besitzfrage nicht geklärt ist«, berichtet Pater Fausto Milla, Mitglied der Alternativen Wahrheitskommission (CdV), die nicht nur die Menschenrechtsverletzungen wäh-rend des Putsches 2009, sondern auch die Vergehen unter der pseudodemokratischen Nachfolgeregierung Porfirio Lobos untersucht. »Einzelne werden umgebracht, die anderen müssen entscheiden, ob sie trotz Lebensgefahr bleiben oder gehen.«

Der Geistliche, der seine schlohweißen Haare unter einer Baseballkappe verbirgt, sitzt auf einem schiefen Holzstuhl in der offenen Gemeindeküche von Guadalupe Carney. Hier werden stets zahlreiche Besucher bekocht, die zur Verstärkung von Barrikaden auf der Überlandstraße kommen oder aber nach Räumungen Unterschlupf suchen.

Kolumbien exportiert seine Paramilitärs

»Was zur Zeit in Honduras passiert, hat große Ähnlichkeit damit, was in Kolumbien schon seit Jahren Realität ist«, und das sei kein Zufall, meint Pater Milla, der selbst lange Jahre in Kolumbien gelebt hat. Facussé pflanze auch dort Ölpalmen an, weiß der Pater. Unter Präsident Álvaro Uribe sollte Kolumbien zum größten Exporteur Lateinamerikas werden. »Jetzt exportiert Kolumbien Paramilitärs nach Honduras, ehemalige Militärs, die in den privaten Sektor übergegangen sind. Unter Facussés Leuten sind sie leicht auszumachen.«

Das kann auch MUCA-Vizepräsident Juan Galindo López bestätigen. »Diese Leute respektieren nichts und niemanden. Wir leben hier in ständiger Angst vor Übergriffen«, erzählt der Mann mit auffälligen blaugrauen Augen im sonnengegerbten Gesicht. Hier, das ist Marañones, eine weiteres Stück Land, auf dem sich ein paar Hundert Bauernfamilien niedergelassen haben. Sie haben weder eine Schule noch irgendwelche medizinische Versorgung, doch wenigstens 1500 Hektar Anbaufläche. »Wir sprechen nicht von einer Besetzung, denn der einzige, der in Bajo Aguán Land besetzt, ist Facussé. Militär und Polizei werden zu Räumungsaktionen eingesetzt, obwohl rechtlich gar nicht geklärt ist, wem das Land gehört. Mein Vater und seine Genossen haben ihr Land wissentlich niemals verkauft, da waren unlautere Methoden im Spiel.« Doch die Bauerngenossenschaften werden schlichtweg kriminalisiert. »Die MUCA ist Opfer eines medialen Kriegszugs, sie wird als Guerilla hingestellt«, erläutert Galindo bitter. Für Präsident Lobo sei das ein perfekter Vorwand für die Militarisierung der Region. Soziale Bewegungen gelten in Honduras seit dem Putsch als Gefahr für den Status quo, der einer kleinen Elite alle Freiheiten für unbegrenztes Gewinnstreben lässt, während rund 70 Prozent der Bevölkerung in Armut leben. »Alle Soldaten aus dem Westteil des Landes wurden abgezogen und nach Bajo Aguán gebracht. Wir leben unter militärischer Besetzung. Doch wenn wir jetzt nicht durchhalten, ist alles verloren. Denn ohne Land, wer sind wir da noch?«, fragt Galindo und lehnt sich gegen einen verrrosteten Traktor.

Jede Nacht werden Übergriffe auf die Ansammlung ärmlicher Hütten erwartet. Am 8. Januar wurde MUCA-Sprecher Juan Ramón Chinchilla entführt, als er auf der vom Militär kontrollierten Landstraße unterwegs war. Nach 48 Stunden konnte er dank einer Unachtsamkeit seiner Peiniger entkommen, die ihm mit Folter und Tod gedroht hatten. Sie trugen laut Chinchilla Uniformen des Militärs, der Polizei, aber auch der Sicherheitsleute Facussés.

Deren direkte Zusammenarbeit mit dem staatlichen Repressionsapparat ist nicht verwunderlich, galt der Multimillionär doch auch als maßgeblicher Finanzier des Putsches. Trotzdem bezog seine Firma Dinant Corporation als Lieferant von Rohstoffen für erneuerbare Energien knapp vier Monate nach dem Staatsstreich einen 30-Millionen-Dollar-Kredit von der Weltbank. In der honduranischen Tageszeitung »El Heraldo« kündigte Miguel Facussé vollmundig weitere kreditierte Investitionen an.

Erfolgreicher Protest gegen Kreditzusage

Doch ein 20-Millionen-Kredit, den die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) zugesagt hatte, wurde diese Woche auf Druck von Nichtregierungsorganisationen wie »Rettet den Regenwald« zurückgezogen. Die zur staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau gehörende Bank hatte mit dem Kredit »einen positiven Beitrag zur dauerhaften Entwicklung und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen vor Ort« leisten wollen. Angesichts der Situation in Bajo Aguán war das eine fatale Fehleinschätzung. »Die Menschenrechtslage ist weiterhin verheerend«, bestätigt Martin Wolpold-Bosien von FIAN International, der im März mit einer internationalen Beobachtermission in der Region unterwegs war. Die Delegation hat ihren Bericht der Kommission des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der Europäischen Union, dem UN-Menschenrechtsrat und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorgelegt.

* Aus: Neues Deutschland, 15. April 2011


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