Putsch der Bilder
Der Umsturz in Honduras löst eine Flut von Assoziationen aus ...
Von Tobias Riegel *
Gerade wegen seiner bemerkenswerten Bilderarmut im Medienecho ist der Umsturz in Honduras ein
Putsch der Bilder – innerer Bilder einer düsteren Vergangenheit, die nun mit Macht an die
Oberfläche des kollektiven Bewusstseins drängen. Der erste (bislang) erfolgreiche
lateinamerikanische Coup seit über zehn Jahren hat – auch wenn Hintergründe noch schwer zu
beurteilen sind – eine Tür zu einer vergangen geglaubten Welt aufgestoßen. Nicht nur politisch,
auch assoziativ.
Plötzlich sind sie wieder präsent, die verdrängten Bilder lateinamerikanischer Monster-Ikonen der
70er und 80er Jahre: Argentiniens Videla faltet bigott die Hände. El Salvadors Duarte, einst selber
Putsch-Opfer, macht als Junta-Chef einen innerlich zerrissenen Eindruck. Honduras' Córdova und
Hoyo stehen die permanente Demütigung durch die US-Amerikaner ins Gesicht geschrieben. Chiles
Pinochet mit kalter Insekten-Sonnenbrille sagt: »Die Demokratie muss ab und zu in Blut gebadet
werden.«
Nicht nur beim Grafiker Klaus Steack waren die finsteren Junta-Protagonisten in ihrer herrschenden
Zeit gern gewähltes Motiv für hippen Agitprop in Siebdrucktechnik mit Fahndungscharme. Eine
Armada kleiner linker Druckereien überschwemmte ihre Anhänger mit Flugblättern und Zeitungen,
schuf durch die Bebilderung eine eigene Ästhetik. Thema Nummer eins: Lateinamerika. Die Galerie
der Schlächter und Diktatoren erscheint daher vor dem geistigen Auge nun schattig, grob und
schwarz-weiß, wie ein Auszug aus der Verbrecherkartei von Caracas.
Es ist bemerkenswert, dass die gut ausgestatteten rechten Medien-Agenturen Lateinamerikas es
bislang nicht geschafft haben, etwa Hugo Chavez auch nur annährend grimmig aussehen zu lassen.
Aber auch die Latino-Sozialisten der 70er Jahre, obwohl mannigfach in ähnlich grobkörniger Technik
abgebildet wie ihre reaktionären Gegenparts, erscheinen im Vergleich zu ihnen natürlich meist
menschlicher. Salvador Allende etwa taugt zwar nicht zum (optisch-)medialen Superstar, sein
visueller Status als visionärer, gütiger – und tragischer – Landesvater aber ist unantastbar. Der
ermordete Erzbischof von El Salvador, Oscar Romero, schwebt auf zahllosen Wandgemälden gar
als Heiliger über den Dingen.
Auch an Aufnahmen des jungen Daniel Ortega, der Kurzzeit-Ikone, muss man unwillkürlich denken.
Wie er triumphal und doch mit, rein optisch jedenfalls, che-hafter Bescheidenheit in Managua
einzieht und zur Hoffnung der Linken in Nicaragua und der Welt wird.
Es mag Zufall sein, aber durch den Putsch in Honduras schließt sich nun ein fataler Kreis: Mit
schmutzigsten US-Kriegsmitteln wurde Ortega damals vor allem vom Nachbarland Honduras aus
bekämpft – und schließlich von einem kriegsmüden Volk an der Wahlurne hart bestraft. Nun steht er
wieder an der Spitze des Landes. Und wieder machen sich militärgestützte Konservative
ausgerechnet in Honduras bereit zur Konfrontation. Es fehlte nur noch, dass nun der sinistre John
Negroponte – wie damals – sein Gegenspieler als US-Botschafter in Honduras würde.
Der Umsturz, sollte er denn wirklich gelingen, hätte strategische Bedeutung über die Grenzen des
Landes hinaus. Als ehemalige Basis für Söldnertruppen und verdeckte Aktionen gegen linke
lateinamerikanische Regierungen besitzt das Land eine traurige Tradition – mit den entsprechenden
Bildern: Todesschwadron-Terror im Grenzgebiet. Märtyrerhuldigung in schwarz-rot. Leichen an
staubigem Wegesrand. Koks schmuggelnde Contras mit Negroponte vor einer Air-Amerika-
Maschine. Auch das Bauernopfer Oliver North taucht auf – und natürlich John Kerry. Der
Präsidentschaftskandidat von 2004 war damals Vorsitzender des Ausschusses zur Aufklärung der
CIA-Drogendeals, mit deren Erlös Waffen für die in Honduras stationierten Contras gekauft wurden.
Dramatisierungen sind bei der unklaren Faktenlage zu vermeiden, auch eine Überhöhung des
geschassten honduranischen Präsidenten José Manuel Zelaya, den politisch einzuordnen nicht
einfach ist. Dennoch bleibt die Gefahr, dass, sollte das Militär nun erfolgreich die Zeit zurückdrehen,
sich Honduras erneut zum Brückenkopf für destabilisierende Kräfte entwickelt. Alle an Honduras
grenzenden Länder haben vorsichtshalber die Grenzen geschlossen.
Die Angst vor einer Wiederholung der Bilder ist groß.
* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2009
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