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Der Fluch der Perspektivlosigkeit

Nach dem Putsch verlassen wieder mehr Honduraner ihre Heimat

Von Knut Henkel *

Hunderttausende machen sich Jahr für Jahr in Tegucigalpa, San Pedro Sula oder La Ceiba auf den Weg gen Norden, um der Armut zu entfliehen. Die von der Landwirtschaft dominierte Wirtschaft von Honduras bietet den acht Millionen Einwohnern kaum Perspektiven. So sind die Geldtransfers aus dem Norden zu Eckpfeilern der Wirtschaft geworden. Die zeigte schon vor dem Putsch Schwäche.

Donar Antonio Ramirez Espinal sitzt am Arbeitstisch, umgeben von Stoffresten, bunten Garnspulen, Wolle und Nadeln. Geschickt hantiert der 29-jährige Mann mit dem modischen Kinnbart mit Nadel und Faden. Der aus Honduras stammende Mann bestickt Armbänder mit bunten Mustern, die von den Mitarbeitern der »Herberge zum Guten Hirten« auf Messen und Wochenmärkten nahe der mexikanischen Grenzstadt Tapachula verkauft werden. In Mexiko ist Donar auf dem Weg nach Norden gestrandet. »Ich bin auf dem Güterzug gereist und runtergefallen«, erklärt er. Donar stürzte, geriet auf das Gleisbett und wachte ohne Beine im Krankenhaus wieder auf. So wie ihm geht es vielen, die in der »Herberge Jesus der gute Hirte« aufgenommen werden, um ihre Verletzungen zu kurieren.

Donar ist gegangen, weil er den fehlenden Perspektiven, der Unsicherheit und Kriminalität entfliehen wollte. »Heute ist es kaum anders und seit dem Putsch machen sich doch wieder mehr meiner Landsleute auf den Treck nach Norden«, erklärt Donar. 5000 US-Dollar sollte er damals für den Schleuser zahlen. An den Preisen hat sich genauso wenig geändert wie an den Rahmenbedingungen: »In Honduras werden Tagelöhne von vier, fünf, sechs US-Dollar gezahlt, damit baut man keine Perspektiven auf«, erklärt er.

Die Wirtschaft des Landes hängt am Tropf der Dollar-Überweisungen aus dem Norden. Rund zwanzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts entfallen auf die Transfers aus Miami, Los Angeles, Chicago und Co. Rund 2,8 Milliarden US-Dollar waren es im vergangenen Jahr und damit gut 400 Millionen US-Dollar mehr als im Haushalt des Landes aufgeführt waren. Der ist ohnehin auf internationale Hilfen angewiesen, trotz der Erfolge der vergangenen Jahre, in denen die Wirtschaft jährlich um rund sechs Prozent wuchs. 2008 kam der erste Dämpfer. Auf 2,5 Prozent sackte das Wirtschaftswachstum ab. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung nahmen zu, für 2009 kalkuliert die UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) mit einem Minus von 2,5 Prozent. Dabei hat sich Honduras in den vergangenen Jahren mehr und mehr von der einseitige Ausrichtung auf den Export von Kaffee, Bananen und anderen Südfrüchten gelöst. Mittlerweile spielt der Tourismus eine wichtige Rolle und es wird auch fleißig montiert.

Die Maquila, der Lohnveredelungssektor, hat sich dank großzügiger Steuersätze angesiedelt und in den Städten des Landes wird für den US-Markt geschraubt. »Doch in Zeiten der Krise im Norden gibt es im Süden dann ganz schnell nichts mehr zu tun«, erklärt Donar. Er kennt die Regeln des Marktes und bei Anzeichen von Krise wird schnell reagiert. Auch im Tourismus, wo Reisen storniert wurden und Kapazitäten leer stehen. Nicht nur wegen der schlechten internationalen Konjunktur - auch die Schweinegrippe macht vielen Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung. Die Wirtschaft wird wieder auf den Kern, die Landwirtschaft, zurückgeworfen. »Die Leute landen auf der Straße und wer nicht weiter weiß, macht sich auf den Weg. Daran hat sich nichts geändert«, erklärt Donar und beißt den Faden ab. Das Armband ist fertig und kann nächste Woche verkauft werden - falls sich ein Käufer findet.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2009


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