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"Die Frente wird sich wandeln"

Honduras: Wird die FNRP nach Rückkehr von Expräsident Zelaya zur Partei?

Von Knut Henkel, San Pedro Sula *

Mit der Rückkehr des Ex-Präsidenten José Manuel Zelaya hat die Frente Nacional de Resistencia Popular (FNRP) in Honduras ein Etappenziel erreicht. Nun steht allerdings die Frage im Raum, welche Rolle die Nationale Front des Volkswiderstands künftig in der Politik des Landes spielen kann. Wird sie sich zur Partei wandeln oder bleibt sie Bewegung – das ist die zentrale Frage, die derzeit in Honduras gestellt wird.

Schwarz-Rot sind die dominierenden Farben auf der Plaza Central, dem zentralen Platz von San Pedro Sula. Jeden Nachmittag dekorieren hier Freiwillige der FNRP zwei Seiten mit den charakteristischen Fahnen der Frente und solchen, auf denen das Konterfei des im Juli 2009 aus dem Amt geputschten Präsidenten José Manuel Zelaya zu sehen ist. Mel wird der Expräsident von Anhängern der Frente genannt, und Graffitis mit dem Slogan »Mel viene«, zu Deutsch »Mel kommt«, prangen an mehreren Gebäuden rund um den Platz. San Pedro Sula, so lautet die Botschaft, zeigt Flagge gegen den Putsch. Rund 700 Tage ist das nun schon so, und es vergeht kein Tag, an dem nicht eine Aktion der Frente in der Industriestadt stattfindet.

Wichtigstes Medium ist »Radio Uno«, der unabhängige Sender, der in einer weiterführenden Schule untergebracht ist, wo die FNRP-Repräsentanten das Wort ergreifen. Berichte über die Situation in der Stadt, aber auch aus Bajo Aguán, wo Landkonflikte immer wieder Todesopfer fordern, gehen in der kleinen Sendeanstalt über den Äther. Hier machen Gewerkschafter wie Germán Zepeda und Lehrer wie Rui Díaz Rundfunk. »Weil es in Honduras abseits der kommunalen Radios kaum eine Möglichkeit gibt, sich über die soziale und politische Situation im Land zu informieren«, erklärt Zepeda. Der Gewerkschafter aus dem Bananenanbausektor ist einer der Köpfe der Frente im Ort, und wie viele andere macht er sich Gedanken über die Perspektiven der FNRP.

Eine Million Menschen empfingen Zelaya am Nachmittag des 26. Mai, als seine Maschine in Tegucigalpa landete. »Ein Zeichen der Stärke der Frente«, sagt Zepeda. Aber wie wird die Zukunft der FNRP aussehen? Politische Partei oder Basisorganisation? Wird sich Zelaya, wie es viele erwarten, an die Spitze der Frente setzen, und werden die Anhänger seiner liberalen Partei, die ohnehin schon eine starke Position in der Organisation innehaben, die FNRP zu einer Partei umbauen? Oder wird der soziale Charakter der Bewegung, die durch die Gewerkschaften oder durch die Lehrer auch in kleinen Dörfern präsent ist, erhalten bleiben und damit das Konzept der Politisierung von unten?

»Jene, die aus der Frente eine Partei machen wollen, haben die Mehrheit. Es braucht eine starke Partei, um eine politisch Alternative zu den Putschparteien zu haben«, meint Zepeda, und sein Kollege Rui Díaz nickt zustimmend. »Wir werden voraussichtlich im Juli eine Konferenz einberufen und diese wichtige Frage debattieren.« Bis dahin laufen die Gespräche in der FNRP und mit Zelaya, der seit seiner Rückkehr in verschiedenen Regionen des Landes unterwegs ist, um seinen Anhängern für den Rückhalt in den knapp zwei Jahren seit dem Putsch zu danken.

Vor einer Woche reiste der Ex-Präsident in die Region Baja Aguán, wo es besonders viele Landkonflikte gibt und in den vergangenen Monaten zahlreiche Kleinbauern ermordet wurden. Der Menschenrechtsorganisation FIAN zufolge, die sich für ein Grundrecht auf Nahrung einsetzt, zählt die Region zu den gefährlichsten des Landes, und auch Zelaya kann sich dort nicht ohne Risiko bewegen.

»Umso wichtiger ist es, dort Präsenz zu zeigen und den Genossen, die sich dort engagieren, den Rücken zu stärken«, betont Rui Diáz. Er spricht regelmäßig mit einem Kollegen, der dort als Korrespondent für »Radio Uno« im Einsatz ist – alternative Strukturen, die die Frente mit Hilfe der Gewerkschaften aufgebaut hat und die Zelaya zur Verfügung stehen. Ob der Expräsident sie zu schätzen und zu nutzen weiß, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2011


Versöhnung gefährdet

Honduras: Protest gegen Bruch des »Abkommens von Cartagena«

Von André Scheer **


Angeführt vom früheren Staatspräsidenten Manuel Zelaya haben Hunderte Aktivisten der Widerstandsbewegung in Honduras am Montag (Ortszeit) gegen die Verletzung des im Mai unterzeichneten Versöhnungsabkommens demonstriert. In dem »Vertrag von Cartagena«, der durch die Vermittlungsbemühungen des kolumbianischen Staatschefs Juan Manuel Santos und seines venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez zustande gekommen war, ist unter anderem festgelegt, daß Mitglieder des früheren Regierungskabinetts von Manuel Zelaya nicht mehr verfolgt werden. Im Vertrauen auf diesen Passus war auch der frühere Regierungsminister Enrique Flores Lanza am 28. Mai gemeinsam mit Zelaya nach Honduras zurückgekehrt. Am 15. Juni stellte er sich freiwillig den Behörden, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften und entsprechend der zwischen Zelaya und dem gegenwärtigen Staatschef Porfirio Lobo getroffenen Vereinbarungen eine Aufhebung der gegen ihn erlassenen Haftbefehle zu erreichen. Statt dessen verhängte der Richter Claudio Aguilar Hausarrest gegen Flores und verlangte innerhalb von 30 Tagen die Hinterlegung einer Kaution in Höhe von 27 Millionen Lempiras (knapp eine Million Euro), ansonsten werde der frühere Minister in Untersuchungshaft genommen.

Nach Angaben der Widerstandsbewegung wirft das Regime Flores die Veruntreuung von Staatsgeldern vor. Gemeint sind damit jedoch offenbar die Ausgaben für die Vorbereitung der am 28. Juni 2009 geplanten Volksbefragung über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Diese hatte den Putschisten am selben Tag als Vorwand für ihren Staatsstreich gedient. Während die Militärs und ihnen nahestehende Politiker damals argumentierten, ihre Aktion habe einen »Verfassungsbruch« durch Zelaya verhindert, sieht das jetzt geschlossene Versöhnungsabkommen die Möglichkeit vor, eine solche Volksabstimmung doch noch durchführen und auf diesem Weg auch eine verfassunggebende Versammlung einberufen zu können.

Durch das Vorgehen der Justiz gegen Flores sieht die Opposition nun jedoch das gesamte Abkommen in Gefahr. »In Honduras werden die Protagonisten des Staatsstreichs privilegiert und beschützt, während die Mitglieder der Nationalen Volkswiderstandsfront (FNRP) verfolgt werden«, kritisierte deren Führungsmitglied Juan Barahona gegenüber der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina.

Unterdessen haben am Montag fünf Lehrer angekündigt, ihren seit über 40 Tagen durchgeführten Hungerstreik abzubrechen. Die Pädagogen hatten den Protest Anfang Mai begonnen, um gegen die Suspendierung von 305 Lehrern durch das Regime zu protestieren. Das Kabinett von Porfirio Lobo hatte ihnen für ein halbes Jahr die Ausübung ihres Berufs untersagt, weil sie sich an Streiks und Protestaktionen gegen den Putsch und die Maßnahmen des Regimes beteiligt hatten. Außerdem forderten die Hungerstreikenden die Auszahlung ausstehender Gehälter für mehr als 6000 ihrer Kollegen sowie die Überweisung der staatlichen Anteile für ihre Renten- und Krankenversicherung. »Wir haben die Ziele, für die wir diesen Kampf aufgenommen haben, nicht erreicht«, räumte Yanina Parada ein, die sich an der Aktion beteiligt hatte. Zwar habe das Regime einige der verhängten Strafen verkürzt, aber das Dekret nicht komplett aufgehoben. Sie werde den Kampf deshalb gemeinsam mit ihren Kollegen in anderer Weise fortsetzen, »denn hier geht es um unsere Würde«, kündigte Parada an.

** Aus: junge Welt, 22. Juni 2011


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