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Flammendes Inferno im Knast

Mehr als 350 Menschen sterben bei Gefängnisbrand in Honduras

Von Andreas Knobloch *

Beim Brand eines Gefängnisses in Honduras sind mutmaßlich mehr als 350 Menschen umgekommen. Fast 100 erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Schauplatz des Unglücks ist die Haftanstalt Granja Penal in Comayagua, rund 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt Tegucigalpa.

Wie Feuerwehrleute berichteten, waren viele Inhaftierte in ihren Zellen eingeschlossen und bei lebendigem Leibe verbrannt, die Mehrzahl erstickte jedoch jedoch aufgrund fehlenden Sauerstoffs. »Wir konnten sie nicht herausholen, da wir die Schlüssel nicht hatten, und die Wächter waren unauffindbar«, so der Sprecher der Feuerwehr, Josué García. Einigen Häftlingen ist es gelungen, das Dach aufzubrechen und ins Freie zu gelangen. Zunächst war von 272 Toten die Rede, später wurden die Zahlen nach oben korrigiert. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es 357 Tote. Viele Leichen sind bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.

Derweil warteten Hunderte Familienangehörige außerhalb auf Nachrichten aus der Haftanstalt, die von Polizei- und Armeeeinheiten umstellt war. Die vage Informationspolitik und Gerüchte über Schüsse im Inneren heizten die Nervosität noch an. Einige begannen, Steine zu werfen, andere versuchten die Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei schoß in die Luft und setzte Tränengas ein, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Angehörige drückten gegenüber lokalen Medien ihre Verzweiflung aus und übten Kritik an der zögerlichen Reaktion der Behörden und dem späten Anrücken der Feuerwehr. Das Feuer war gegen 23 Uhr Ortszeit in der Nacht zum Mittwoch ausgebrochen. Erst 40 Minuten später begannen die Löscharbeiten; drei Stunden später waren die Flammen unter Kontrolle.

Über die Ursachen gibt es unterschiedliche Versionen. In der honduranischen Presse war zunächst von einer Gefängnisrevolte die Rede. Auch die Nachrichtenagentur Reuters meldete, daß die Feuerwehr wegen Schüssen nicht ins Innere des Gefängnisses vordringen konnte. Doch Gefängnisdirektor Danilo Orellana schloß dies aus: »Wir haben zwei Hypothesen: eine ist, daß einer der Insassen eine Matratze angezündet hat, und die andere, daß es einen Kurzschluß im Stromkreis gab.« Die Regierung befürchtet, daß viele Häftlinge das Feuer genutzt haben, um zu fliehen. Laut Ramón Custodio, Beauftragter für Menschenrechte, sind vermutlich 356 der 853 Insassen entkommen. Ausgelegt ist der Komplex für 400 Gefangene; er war also weit überbelegt.

Präsident Porfirio Lobo kündigte an, die Verantwortlichen für die Haftanstalten im Land und die Führung des Gefängnisses in Comayagua auszutauschen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) will eine Untersuchungskommission schicken. Doch es sind strukturelle Probleme, die Unglücke wie in der Nacht zum Mittwoch – die größte Gefängnistragödie in der Geschichte Honduras’ – verursachen.

Am 5. April 2003 kamen in der Haftanstalt Granja Penal de Porvenir in La Ceiba bei einem Kampf zwischen einsitzenden Bandenmitgliedern und anderen Häftlingen 68 Menschen ums Leben, darunter drei Besucher. Bei einem Feuer am 17. Mai 2004 starben in einem Gefängnis in San Pedro Sula 107 Insassen, in der Mehrzahl Mitglieder krimineller Jugendbanden.

Honduras besitzt 24 Gefängnisse mit einer Kapazität für 8280 Gefangene. Ende 2010 wurden 11757 Einsitzende gezählt, davon gerade einmal 5691 mit Gerichtsurteil. Schätzungen zufolge hat die Überbelegung mit mehr als 13000 Häftlingen heute sogar noch zugenommen. Dazu kommen die unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen. Die Leitung der Gefängnisse untersteht der Nationalpolizei, der immer wieder Korruption und Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorgeworfen werden. Faktisch hätten kriminelle Banden die Macht in den Haftanstalten. Im Jahr 2010 hatte die Regierung wegen der Überbelegung den Notstand ausgerufen. Passiert ist seitdem nichts.

* Aus: junge Welt, 17. Februar 2012


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