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"Es gibt keine Bedingungen für freie und faire Wahlen"

Menschenrechtsaktivistin Bertha Oliva zur Situation in Honduras

Bertha Oliva ist Koordinatorin des Komitees der Angehörigen verschwundener Gefangener in Honduras (COFADEH), einer der ältesten Menschenrechtsorganisationen des Landes. Über die bevorstehenden Wahlen, die Strategie der Putschisten und die Aufgaben der Widerstandskräfte in der gegenwärtigen Situation sprach mit ihr für das "Neue Deutschland" (ND) Harald Neuber.



ND: Die Verhandlungen zwischen der Regierung von Präsident Manuel Zelaya und den Putschisten über eine Wiederherstellung der demokratischen Ordnung sind praktisch gescheitert. Hatte es überhaupt die Chance auf eine Einigung gegeben?

Oliva: Meiner Ansicht nach war es von Beginn an ein Dialog mit Gehörlosen. Die De-facto-Regierung unter Roberto Micheletti setzt weiterhin auf die Verzögerung einer Lösung und leider steht die Zeit auf ihrer Seite. Micheletti versucht ganz offensichtlich, bis zu den Wahlen am 29. November durchzuhalten, denn mit dieser Abstimmung könnte er das heiße Eisen an seinen Nachfolger weiterreichen. In ihrem Hunger nach Macht ignorieren die Kandidaten der etablierten Parteien, dass sie weiterhin ein immenses Problem haben werden. Die internationale Gemeinschaft wird weder diese Wahlen noch das Resultat anerkennen.

Weshalb lehnen auch Sie die Wahlen ab?

Weil im Land schlichtweg keine Bedingungen bestehen, um eine freie und faire Abstimmung durchzuführen. Es gibt weder die notwendige Freiheit noch gleiche Voraussetzungen für alle Anwärter. Die Kandidaten der etablierten Parteien stehen auf der Seite der Putschisten. Die Vorwahlen in diesen Parteien waren von Unregelmäßigkeiten bestimmt. Die Führung des Obersten Wahlgerichts wurde illegal eingesetzt. Oppositionelle Medien wurden geschlossen. Es gibt keine unabhängige Kontrolle des Wahlprozesses.

Sind deshalb auch die Verhandlungen gescheitert?



Ich denke, dass die Putschisten einem Plan folgten: Die Verhandlungsdelegationen einigen sich auf die mögliche Rückkehr Zelayas in die Präsidentschaft. Micheletti widersetzt sich dem nicht frontal, sondern überweist das Thema an Kongress und Obersten Gerichtshof, die sich gegen die Wiedereinsetzung aussprechen. Micheletti trägt dafür dann vermeintlich keine Verantwortung mehr.

Vermeintlich?

Angesichts der schweren Staatskrise müssten sich die Vorsitzenden der drei Staatsgewalten in einer Dauersitzung befinden. Tatsächlich aber treffen sie sich nur zu folkloristischen Anlässen, zu einem Mittagessen mit Militärs und Polizisten am 15. September, dem Unabhängigkeitstag, etwa. Diese Passivität weist darauf hin, dass alle Macht bei Micheletti liegt.

Welche Rolle spielt die Nationale Widerstandsfront gegen den Staatsstreich?

Das kann ich derzeit nicht mit völliger Sicherheit beantworten. Aber das Ausscheiden ihres Vertreters, des Gewerkschafters Juan Barahona, aus den Verhandlungen hat zweifelsohne zu einer klareren Lage beigetragen.

Barahona war ausgeschieden, weil er den Verzicht der Zelaya-Delegation auf Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung nicht mitgetragen hat …

… und das beweist, dass die Widerstandsfront eine eigene politische Agenda hat. Sie agiert unabhängig, steht Zelaya aber nahe. Damit hat sich dieses Protestbündnis als unabhängige Kraft etabliert, mit der künftig verhandelt werden muss.

Wie geht es nun weiter?

Über das weitere Vorgehen muss sich die Widerstandsfront selbst einigen. Drei Aspekte müssen sie dabei meiner Meinung nach beachten: Erstens befinden wir uns in einem historischen Umbruch und der Widerstandsfront kommt eine wichtige Rolle zu. Zweitens muss ihre innere Einheit gewährleistet werden. Und drittens müssen – mitunter auch ideologische – Eckpunkte für ein mittel- und langfristiges Handeln festgelegt werden. Dabei geht es etwa um die Frage, ob aus der Widerstandsfront eine neue Partei hervorgeht.

Ihre Organisation, COFADEH, ist aber nicht Teil des Widerstandes.

Es liegt auch nicht in unserem Interesse, eine aktive Rolle in der politischen Auseinandersetzung zu spielen. Aber natürlich positionieren wir uns. Bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung würden wir auf jeden Fall darauf achten, dass die Menschenrechte klar und verlässlich geschützt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2009

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Für die Linken sind wir der parlamentarische Hebel"

In Honduras will die "Demokratische Vereinigung" nur an der Wahl teilnehmen, wenn vier Bedingungen erfüllt sind. Gespräch mit César Ham **

César Ham ist in Honduras Kongreßabgeordneter sowie Spitzenkandidat der linken Partei »Demokratische Vereinigung« (UD)

Sie treten als Präsidentschaftskandidat zu der für den 29. November in Honduras angesetzten Wahl an. Wofür steht Ihre »Demokratische Vereinigung«, UD, eigentlich?

Die UD begann als Zusammenschluß verschiedener Gruppen, darunter waren auch Guerilla-Organisationen, die schon in den 70er und 80er Jahren für eine gerechtere Gesellschaft gekämpft hatten. In den 90er Jahren ermöglichten ihnen das Abkommen von Esquipulas und der Friedensprozeß in Zentralamerika die Teilnahme an Wahlen. Wir sind also so etwas wie der parlamentarische Hebel für die honduranischen Linken. In den 15 Jahren unserer Existenz ist die Partei von Wahl zu Wahl stärker geworden. Jetzt stellen wir sechs Abgeordnete und sind damit drittgrößte politische Kraft im Land –noch vor den Sozial- und den Christdemokraten.

Am 28. Juni wurde die legitime Regierung von Präsident Manuel Zelaya aus dem Amt geputscht. Wie haben die Abgeordneten der UD darauf reagiert?

Wir sind erst einmal ins Ausland geflohen, für zwei Wochen. Als wir zurückkehrten, schlugen Polizei und Militär gegen uns los: Vier Genossen wurden ermordet, unserem Abgeordneten Marvin Ponce wurde der Arm gebrochen. Seit zwei Wochen lassen wir uns wieder im Kongreß blicken, was auf eine Bitte der Nationalen Front des Widerstands gegen den Putsch zurückgeht. Wir brachten als erstes den Antrag ein, den soeben verhängten Ausnahmezustand aufzuheben. Dieser Antrag wurde aber nur von einem Teil der Liberalen Partei Zelayas unterstützt, alle anderen Parteien waren dagegen.

In der Öffentlichkeit wird der Boykott der Wahl gefordert – werden Sie sich tatsächlich zur Wahl stellen?

Auf diese Wahl bereiten wir uns schon seit vergangenem Jahr vor. In 265 Städten kandidieren wir für den Bürgermeisterposten und in 17 von 18 Provinzen auch für Abgeordnetenmandate. Jetzt stehen wir vor der Situation, daß mit dem Staatsstreich die verfassungsmäßige Ordnung beseitigt wurde.

Damit wir tatsächlich an der Wahl teilnehmen können, müssen vier Bedingungen erfüllt sein: Erstens muß Zelaya wieder als Präsident eingesetzt sein. Zweitens müssen alle Parteien gleiche Chancen haben – was allerdings nicht gegeben ist, solange das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit nicht garantiert sind. Drittens: Einstellung aller Repressionen gegen die Widerstandsbewegung, zu der ja auch unsere Kandidaten gehören. Viertens: Die Armee muß in die Kasernen zurückkehren.

Befürchten Sie nicht, daß Sie mit Ihrer Teilnahme an der Wahl die Politik der Putschisten legitimieren? Die könnten anschließend ja verkünden: »Wir haben auch den Linken eine faire Chance gegeben – die Wähler haben sich aber gegen sie entschieden.«

Wir glauben, daß es wichtig ist, die Putschisten per Wahl zu besiegen. Hinzu kommt, daß wir eine verfassunggebende Versammlung anstreben – und auch die ist nur über eine Wahl zu erreichen.

Wir werden auf jeden Fall gründlich in unserer Partei darüber beraten und dann entscheiden, ob wir tatsächlich antreten. Diesen Entschluß wird aber die Partei als Ganzes treffen – nicht der einzelne Kandidat.

Wie wollen Sie zu einer verfassunggebenden Versammlung kommen, wo doch Zelaya auf diese Forderung erst einmal verzichtet?

Auch Zelaya will eine solche Versammlung – für deren Einsetzung muß aber eine Mehrheit im Kongreß gefunden werden. Erst dann können ihre Mitglieder vom Volk gewählt werden. Das heißt: Als erstes müssen die Wählerinnen und Wähler die Putschisten bei der Wahl schlagen – dann kann eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden. So ähnlich ist es auch in Bolivien, in Ecuador und in anderen lateinamerikanischen Ländern gelaufen, in denen heute fortschrittliche Regierungen an der Macht sind.

Interview: Wladek Flakin, Tegucigalpa

** Aus: junge Welt, 20. Oktober 2009


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