Gesellschaft in Honduras seit dem Putsch zerrissen
Aktivist Rasel Tomé fordert eine Verfassunggebende Versammlung
Rasel Tomé ist führender Aktivist der Demokratiebewegung von
Honduras. Der Jurist und Politiker arbeitete bis zuletzt als Assistent
des Mitte 2009 gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya. Mit ihm sprach für
das Neue Deutschland (ND) Harald Neuber.
ND: Herr Tomé, die lateinamerikanische Journalistenorganisation PEC
bezeichnet Honduras seit dem Staatsstreich gegen Manuel Zelaya als eines
der gefährlichsten Länder des Kontinents. Allein im März wurden fünf
Pressevertreter ermordet. Wie sehen Sie die Lage?
Tomé: Das Hauptproblem ist, dass die Demokratie in Honduras nach dem
Putsch nicht wieder hergestellt wurde. Infolge des Umsturzes sind wir
mit einer andauernden Unregierbarkeit konfrontiert. Es gibt keinen neuen
sozialen Pakt, keine neue Übereinkunft, die es dem honduranischen Volk
ermöglicht, sich für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen. Die Elite
hält ihre Macht und ein gescheitertes System auf der Spitze der
Bajonette aufrecht.
Das ist, vermute ich, der Grund für die Gewalt?
Es gibt daher in der Tat eine brutale Repression gegen Mitglieder des
Widerstandes. Seit der Amtsübernahme Porfirio Lobos (des aktuellen
Staatschefs, d. Red.) wurden bereits mehr als zehn Mitstreiterinnen und
Mitstreiter ermordet. Gewerkschafter, Lehrer, Landarbeiter - alle sind
von Auftragskillern bedroht. Es gibt einen klaren Zusammenhang zu dem
Vorwurf, dass Paramilitärs aus Kolumbien angeworben wurden, um gegen
diejenigen vorzugehen, die sich für einen Prozess des sozialen Wandels
einsetzen.
Dennoch sind Sie aus dem Exil nach Honduras zurückgekehrt.
Ich bin nach Honduras zurückgekehrt, um mich gegen politisch motivierte
Vorwürfe zu wehren. Unter der Regierung von Manuel Zelaya stand ich der
Telekommunikationsbehörde vor. Es gibt in Honduras nun einen Unternehmer
und Finanzier des Staatsstreiches, Elías Asfura, der mir Amtsmissbrauch
vorwirft. Der Punkt ist, dass wir während meiner Amtszeit versucht
haben, die Monopole zurückzudrängen. Wir haben den Telefon-, Internet-,
Radio- und Fernsehmarkt geöffnet und das digitale Fernsehen eingeführt.
Zudem wurde der TV-Kanal 8 als Medium der Regierung und der Bürger
etabliert. Der genannte Unternehmer versucht nun, sich über seine
politische Kontakte zu profilieren, um sich dieses Kanals zu
bemächtigen. Dem will ich politisch entgegentreten.
Manuel Zelaya kann das nicht, ihm wird nach wie vor die Einreise nach
Honduras verwehrt. Ist das rechtens?
Sie müssen eines verstehen: In Honduras untersteht die Justiz der
politischen Macht und wird dazu benutzt, die Privilegien der Elite zu
gewährleisten, unter ihr die Verantwortlichen dieses Staatsstreichs.
Alle hochrangigen Justizfunktionäre, die an dem Sturz des Präsidenten
beteiligt waren, sind nach wie vor im Amt - obgleich die internationale
Gemeinschaft und multilaterale Organisationen den Umsturz klar
verurteilen. Während die Delinquenten straffrei bleiben, geht die Justiz
gegen Aktivisten der Demokratiebewegung vor. Vor diesem Hintergrund ist
das Vorgehen gegen Präsident José Manuel Zelaya Rosales zu verstehen:
Weil er zu einer Symbolfigur eines Projektes für den sozialen Wandel
geworden ist, wurde er auch zum Gegenspieler der Oberschicht, die ihn
als Bedrohung sieht. Das führt mitunter zu absurden Widersprüchen.
Unlängst erklärte Herr Lobo, dass Präsident Zelaya als Bürger des Landes
nach Honduras zurückkehren könne. Wenige Stunden später verkündete der
Sicherheitsminister Oscar Álvarez jedoch, dass er Manuel Zelaya in
diesem Fall festnehmen lassen würde. Unterstützt wurde er dabei vom
Generalstaatsanwalt, der direkt am Putsch beteiligt war. Die Rückkehr
von Präsident Zelaya nach Honduras ist und bleibt aber eine der
Forderungen der Nationalen Front des Volkswiderstandes, deren
Integrationsfigur er ist.
Die Widerstandsbewegung strebt zudem die Einberufung einer
Verfassunggebenden Versammlung an. Welche Chancen hat ein solches
Vorhaben unter den gegebenen Bedingungen?
Die Verfassunggebende Versammlung ist der einzige Weg, um einen neuen
gesellschaftlichen Pakt zu erreichen, der vom Volk getragen wird. Nur
über eine derartige Reform der Verfassung können wir die
Unregierbarkeit, Ungerechtigkeit und Krise überwinden. Die honduranische
Gesellschaft ist seit dem Putsch zerrissen und der Wunsch nach einer
Verbesserung der Lebensverhältnisse sowie nach gesellschaftlichem
Fortschritt ist groß. Nach jüngsten Umfragen sprechen sich 74 Prozent
der honduranischen Bevölkerung für eine neue Verfassung aus. Wir
versuchen derzeit von der Basis aus, die Bevölkerung für dieses
Unterfangen zu mobilisieren und zu organisieren. Klar ist: Wir werden
nicht aufgeben, bis wir eine vom Volk getragene Verfassunggebende
Versammlung einberufen haben.
* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2010
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