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Am seidenen Faden

Honduras wählt einen neuen Präsidenten. Putsch von 2009 prägt immer noch die politische Landschaft

Von André Scheer *

Knapp viereinhalb Jahre nach dem Sturz des Präsidenten Manuel Zelaya wählt Honduras am 24. November einen neuen Staatschef. Dieser wird Porfirio Lobo ablösen, der Ende 2009 zum neuen Staatschef bestimmt worden war. Die damaligen Wahlen fanden unter Kontrolle der Putschisten statt und waren deshalb von der Widerstandsbewegung boykottiert und von den meisten Staaten der Welt zunächst nicht anerkannt worden.

Der Staatsstreich von 2009 prägt bis heute die politische Landschaft des zentralamerikanischen Landes. Die jahrzehntelang bestehende Zweiparteienherrschaft von Nationalen und Liberalen, die sich gegenseitig an der Regierung ablösten, ist Geschichte. Vier der acht kandidierenden Parteien sind erst in Folge der damaligen Ereignisse entstanden und werden teilweise von Protagonisten beider Seiten geführt.

Gute Aussichten, die Wahl für sich zu entscheiden, hat Xiomara Castro, die Ehefrau Zelayas. Da dieser aufgrund der geltenden Verfassung nicht noch einmal für das höchste Staatsamt kandidieren kann, entschied sich die aus dem Widerstand gegen den Putsch hervorgegangene Partei »Freiheit und Neugründung« (LIBRE) für Castro, die während des Exils ihres Mannes eine der führenden Persönlichkeiten der Protestbewegung gewesen war. In den letzten Umfragen von Ende Oktober liegt sie praktisch gleichauf mit dem Kandidaten der bislang regierenden Nationalen Partei, Juan Orlando Hernández. Dahinter folgen die Liberalen, die sich von ihrer Verwicklung in den Putsch bislang nicht erholt haben. Dieser Partei hatten auch Zelaya und Castro angehört, doch nachdem sich deren führende Kräfte gegen den amtierenden Staatschef gestellt und den Putsch angeführt hatten, spaltete sich ein Großteil der Zelaya treu gebliebenen Basis ab und schloß sich der Widerstandsbewegung an. Mauricio Villeda, der diesmal für die Liberalen ins Rennen geht, sieht sich bei seinen Auftritten immer wieder Protestierenden gegenüber, die ihm eine Beteiligung am Sturz Zelayas vorwerfen.

Wenig Chancen, die Wahl zu gewinnen, hat der frühere Chef des honduranischen Generalstabs, Romeo Vásquez Velásquez. Unter seinem Befehl hatten Soldaten am 28. Juni 2009 die Residenz von Zelaya gestürmt, diesen noch im Schlafanzug in ein Flugzeug gesetzt und nach Costa Rica ausgeflogen. Vásquez war neben dem von den Putschisten ernannten De-facto-Präsidenten Roberto Micheletti das Gesicht des Staatsstreichs und ist in Honduras entsprechend verhaßt. In den Umfragen rangiert er bei rund drei Prozent der Stimmen. Ein ebenso großer Anteil wird für Andrés Pavón vorausgesagt, der für ein Bündnis der Linksparteien UD und FAPER ins Rennen geht. Der einstige Chef des honduranischen Menschenrechtskomitees CODEH war zunächst ebenfalls gegen die Putschisten aktiv gewesen, hatte sich dann aber mit der Nationalen Widerstandsfront überworfen und seine eigene »Breite Politische Wahlfront im Widerstand« (FAPER) ins Leben gerufen. Unterstützt wird er von der Demokratischen Vereinigung (UD). Diese hatte sich Ende 2009 nicht am Boykott der damaligen Wahlen beteiligt, weil sie den Verlust ihrer Privilegien befürchtete. In der Folge verließen zahlreiche Funktionäre und Parlamentarier die Partei, unter ihnen Silvia Ayala, die im Januar 2010 bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin über den Widerstand berichtete und sich nun für die LIBRE um ein Abgeordnetenmandat bewirbt

Vor dem künftigen Staatsoberhaupt liegt die Aufgabe, die durch den Putsch weiter verschärfte innenpolitische Lage zu entspannen. »Die Menschenrechtslage in Honduras ist erschreckend, und die Zukunft des Landes hängt an einem seidenen Faden«, warnte Anfang der vergangenen Woche die Vizechefin des Amerikaprogramms von Amnesty International, Guadelupe Marengo, in einem Schreiben an alle Präsidentschaftskandidaten. Sie forderte von der künftigen Regierung, einen »Kurswechsel« einzuleiten und die Verfolgung von sozialen Aktivisten zu beenden.

* Aus: junge Welt, Montag, 11. November 2013


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