Ayodhya polarisiert Indien bis heute
Vor 20 Jahren rissen fanatische Hindus die Babri-Moschee nieder
Von Hilmar König *
Der 6. Dezember 1992 markiert ein
dunkles Kapitel in Indiens Geschichte:
Fanatische Hindus rissen in Ayodhya
im Unionsstaat Uttar Pradesh die
Babri-Moschee nieder, um endlich
»klare Verhältnisse« an jenem Ort zu
schaffen, den sie als Geburtsstätte
ihres Gottes Ram betrachten. Das Ereignis
polarisierte die indische Gesellschaft
wie nie zuvor.
Der Sturm auf die Babri-Moschee
war Kulminationspunkt einer hinduistischen
Bewegung, an deren
Spitze Lal Krishna Advani stand,
führender Politiker der rechten
Indischen Volkspartei (BJP). Er
hetzte auf seinen Propagandatouren
durchs Land hunderttausende
gläubige Hindus auf: Sie seien die
Mehrheit und dürften die Schande
nicht länger hinnehmen, dass ein
Muslimherrscher im 14. Jahrhundert
an ihrer heiligsten Stätte in
Ayodhya – wo Gott Rama geboren
worden sein soll – eine Moschee
errichten ließ. Genau dort müsse
ein Hindutempel gebaut werden.
Am 6. Dezember 1992 machten
die Sturmtrupps hinduistischer
Fanatiker unter dem Beifall Advanis
und anderer BJP-Führer die
Moschee dem Erdboden gleich.
Die Zentralregierung in Delhi
schaute dem Treiben wie gelähmt
zu. Begleitet wurde der Frevel von
einer Jagd auf Muslime in Ayodhya
und der nahen Stadt Faizabad.
Menschen wurden gelyncht. Häuser
und Geschäfte gingen in Flammen
auf. Das soziale Gefüge Indiens
drohte einzustürzen. Die ohnehin
nur auf dem Papier stehende
»Harmonie« von Hindus und Muslimen
wurde landesweit zerstört.
Muslimische Intellektuelle, Künstler,
Schauspieler, die sich nie sonderlich
religiös gegeben hatten,
ergriffen angesichts der Ereignisse
plötzlich Partei. Im fernen Bombay
kam es später zu furchtbaren
»Vergeltungsschlägen«, radikale
Muslimgruppen verübten Sprengstoffattentate,
die hunderte Menschen
das Leben kosteten.
20 Jahre später urteilt der in
Faizabad lebende Politologe Krishan
Pratap Singh: »Das Tempel-
Moschee-Problem war den Menschen
hier von außen aufgezwungen
worden, von Leuten mit eigenen
Ambitionen. Das vergiftete die
Atmosphäre für immer. Heute
schießen Hindus und Muslime
zwar nicht aufeinander, doch es
herrscht so etwas wie ein kalter
Krieg. Äußerlich erscheint alles in
Ordnung. Aber wenn die Masken
fallen, kommt die bittere Realität
von Hass und Misstrauen zum
Vorschein. Die Muslime haben akzeptiert,
dass sie im Schatten der
Hindus leben müssen.«
Die Einschätzung trifft weitgehend
auch auf andere Regionen
Indiens zu, etwa auf den Unionsstaat
Gujarat. Dort kam es vor zehn
Jahren unter den Augen des BJPChefministers
Narendra Modi zu
Massakern an Muslimen, die in
Gujarat etwa neun Prozent der Bevölkerung
ausmachen. Im Februar
2002 war ein Eisenbahnzug mit
Hindu-Pilgern angeblich von Muslimen
in Brand gesetzt worden. 58
Passagiere starben in den Flammen.
Die Untersuchungsberichte
von Gerichten und Kommissionen
widersprechen einander. Jedenfalls
zog eine Woge von Gewalt
durch Gujarat, vornehmlich gegen
Muslime. Tausende Menschen
verloren ihr Leben, Zehntausende
ihre Existenzgrundlage, andere
mussten flüchten.
Kommende Woche beginnen in
Gujarat Wahlen zur Volksvertretung.
Chefminister Modi wird ohne
Zweifel wiedergewählt. Die BJP
wird ihn wahrscheinlich bei den
Parlamentswahlen 2014 als Kandidaten
für das Amt des indischen
Premierministers präsentieren.
Wie schätzte Krishan Pratap Singh
ein? »Von außen betrachtet, erscheint
alles in Ordnung ...«
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 06. Dezember 2012
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