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Indien hält zu Karsai

Zusammenarbeit wird auch nach Bombenanschlag fortgesetzt

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Trotz des verheerenden Sprengstoffanschlags am Montag (7. Juli) auf seine Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul wird Indien die Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes am Hindukusch unbeirrt fortsetzen. Das war die Reaktion Delhis auf das Attentat, bei dem 41 Menschen ums Leben kamen und über 130 Verletzungen erlitten. Der mit Sprengstoff vollgestopfte Toyota Corolla war in das Eingangstor der Botschaft gerast, das sich gerade hinter dem Autokonvoi des indischen Militärattachés Brigadier Ravi Datt Mehta und des Konsuls Venkateswara Rao geschlossen hatte. Beide wurden bei der Attacke des Selbstmörders getötet. Afghanistans Präsident Hamid Karsai sprach von »Feinden der indo-afghanischen Freundschaft«, die das Verbrechen organisierten und ausführten.

In seinem Innenministerium wurde man noch etwas deutlicher und erklärte, der Terrorschlag sei »in Koordinierung und Konsultation mit einem in der Region aktiven Geheimdienste« durchgeführt worden. Niemand in Kabul, Delhi oder Islamabad rätselte, wer wohl gemeint sein könnte: Die Afghanen verdächtigten nicht zum ersten Mal den pakistanischen Geheimdienst ISI, hinter den verstärkten Aktivitäten der Taliban zu stecken. Zumindest, so die Beschuldigungen, gebe es Kreise im ISI, die ihre Kollaboration mit den Taliban auch nach deren Vertreibung im Jahre 2001 aus Kabul nie abgebrochen hätten. Und außerdem könnten sich Kämpfer der Taliban und der Al-Qaida bekanntlich in paschtunische Stammesgebiete auf der pakistanischen Seite zurückziehen, wenn ihnen der Boden in Afghanistan zu heiß wird. Islamabad weist das entschieden zurück.

Der pakistanische Außenminister Shah Masud Qureshi verurteilte die Bombenattacke vom Montag scharf und bekräftigte, daß seine Regierung »Terrorismus in allen Formen und Manifestationen« entschieden ablehnt. Ein Sprecher des Außenministeriums erinnerte daran, daß Pakistan nicht Täter, sondern Opfer derselben Attentäter ist, die in Kabul zuschlugen. Afghanistans Regierung solle endlich aufhören, stets Pakistan verantwortlich zu machen, wenn im eigenen Haus etwas schief läuft, wie vor zwei Monaten bei der Militärparade in Kabul, bei der ein Attentat auf Präsident Karsai fehlschlug.

Indien reagierte besonnen und ließ sich nicht in den afghanisch-pakistanischen Zwist hineinziehen. Premier Manmohan Singh, Außenminister Pranab Mukherjee und Verteidigungsminister A.K. Antony bekräftigten Indiens Entschlossenheit, den Kampf gegen Terroristen unerschütterlich fortzusetzen und zugleich nach wie vor seinen erheblichen Beitrag zum Wiederaufbau in Afghanistan zu leisten. Indiens Aufbauhilfe für Infrastruktur, Verkehrswesen und Landwirtschaft hat eine Wertvolumen von über 750 Millionen Dollar, während es sich nicht an den Militäroperationen des Westens beteiligt. Nach dem Sturz der Taliban verbesserten sich die Beziehungen Delhi–Kabul schlagartig. Präsident Karsai weilte wiederholt zu Staatsbesuchen in Indien und kehrte nie mit leeren Händen heim. Indien hat gegenwärtig fünf Konsulate in verschiedenen afghanischen Landesteilen.

Im Gegensatz zur indischen Regierung nehmen Medien und Sicherheitsexperten kein Blatt vor den Mund. Für die Times of India steht fest, daß der Angriff auf die Botschaft in Kabul das Werk von »Taliban-Gruppen des ISI« war. Und Ajay Sahni vom Institut für Konfliktmanagement in Delhi äußerte: »Die vom ISI unterstützten Taliban wollen weder eine indische Konsolidierung in Afghanistan noch Stabilität in Kabul erlauben.«

* Aus: junge Welt, 9. Juli 2008

Anschlag auf indische Botschaft in Kabul



Spekulationen um Verstrickung des pakistanischen Geheimdienstes


Von Rainer Rupp **

Bei einem Selbstmordanschlag auf die indische Botschaft sind in der afghanischen Hauptstadt Kabul am Montag mindestens 42 Menschen getötet und 141 weitere verletzt worden. Bei der Explosion, die das Gebäude sowie angrenzende Häuser in Trümmer legte, wurden auch der indische Militärattaché, General R.B. Mehta, und drei Sicherheitskräfte der Botschaft getötet. Indischen Medien zufolge wurde der Anschlag erst durch mehrere Sicherheitsfehler möglich. Es hätten »spezifische nachrichtendienstliche Erkenntnisse vorgelegen«, nach denen »die Botschaft noch in dieser Woche zum Ziel eines schweren Anschlags« werden würde. Obwohl das Areal um die Botschaft abgesperrt worden war, gelang es einem mit Sprengstoff gefüllten Fahrzeug, bis vor die Tore des Gebäudes zu fahren. Die Bombe wurde in dem Moment gezündet, in dem das Fahrzeug des Militärattachés die Stelle passierte.

In indischen Medien wird vor dem Hintergrund der Rivalität Pakistans und Indiens um den Einfluß in Afghanistan inzwischen spekuliert, ob Pakistans Geheimdienst ISI hinter dem Anschlag steht. Der ISI hatte in den 90er Jahren die Taliban unterstützt, um zu verhindern, daß in Afghanistan tätige tadschikische und usbekische Kriegsherren mit Indien eine Allianz eingehen. Weil sich Pakistans Militärmachthaber Pervez Musharraf seit Beginn des US-geführten »Krieges gegen den Terrorismus« aber nur widerwillig auf die Seite Washingtons gegen die Taliban stellte, hat seine Regierung viel Einfluß in Afghanistan verloren. Indien dagegen hat über eintausend Soldaten im Land stationiert und ist inzwischen einer der engsten Verbündeten des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und sowie der Besatzungstruppen. Indische Regierungskreise verdächtigen den ISI hinter dem Anschlag. Unter Berufung auf afghanische Geheimdienstquellen berichtete der indische Nachrichtensender NDTV am Montag zudem, daß »der Anschlag in Koordination und Absprache mit einem in der Region aktiven Nachrichtendienst durchgeführt« worden sei.

** Aus: junge Welt, 8. Juli 2008




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