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Indiens "Löwe" auf dem Sprung

Volkspartei nominierte ihren Kandidaten für das Amt des künftigen Regierungschefs

Von Hilmar König, Neu-Delhi*

In der politischen Landschaft Indiens weht seit dem Wochenende ein frischer Wind. Die oppositionelle Indische Volkspartei (BJP) hat ihren Kandidaten für das Amt des Premierministers nominiert und damit die Weichen für die im Frühjahr 2014 stattfindenden Parlamentswahlen gestellt. Es ist der autoritär agierende Chefminister des Bundesstaates Gujarat, Narendra Modi. Im Gegensatz dazu hält sich die regierende Kongreßpartei weiterhin bedeckt, ob sie den jüngsten Sproß der Nehru-Gandhi-Dynastie, Rahul Gandhi, zu ihrem Bewerber um den Posten des Regierungschefs küren wird.

Auf dem jüngsten Massenmeeting in Jaipur genoß der 63 Jahre alte Modi die Sprechchöre: »Seht, wer da kommt. Es ist Mutter Indiens Löwe.« Das Image des energischen Machers, des starken Mannes, der den Subkontinent aus der Misere ziehen wird, gefällt ihm. Seine Anhänger sowie wohlwollende Medien nennen ihn Namo, eine Abkürzung, die sowohl seinen Vor- und Familiennamen enthält als auch das Wort Tsunami assoziiert. Die Partei und Wirtschaftsexperten bescheinigen ihm, mit seinem stürmischen Entwicklungskurs in den letzten zwölf Jahren ein »vibrant Gujarat« geschaffen zu haben, einen pulsierenden, dynamischen Bundesstaat mit Wachstumsraten über zehn Prozent, ein Modell für ganz Indien.

Kritiker schauen indes genauer hin und sehen auch die Schattenseiten. Vom Modi-Kurs profitierten vor allem das Busineß und die Mittelklasse. Hingegen überrollte der »Tsunami« die ländliche Bevölkerung und die niederen Kasten. Beim Armutsindex steht Gujarat an 13. Stelle von 29 indischen Staaten und mit seinem Bildungswesen auf Position 21. Dennoch bleibt die Tatsache, daß unter »Namo« Gujarats Wassermanagement so verbessert wurde, daß der Grundwasserspiegel wieder stieg, die Baumwollproduktion boomt und zwischen 2001 und 2007 die Agrarproduktion um sensationelle 9,6 Prozent stieg, weit über dem nationalen Durchschnitt.

Mit solchen Errungenschaften fällt es »Namo« nicht schwer, die regierende, von der Kongreßpartei geführte Nationale Progressive Allianz und besonders Premier Manmohan Singh und die Gandhi-Familie als lahm und orientierungslos vehement zu attackieren. Die Regierung habe »keinen Führer, keine Politik, keine Integrität und keine guten Absichten«. Ihr verfehlter Kurs habe die Wirtschaft ruiniert. Der Premier sei unentschlossen und agiere nur auf Befehl der Kongreßpartei-Zentrale. Parteivize Rahul Gandhi sei ein »Weichei«, ungeeignet die Nation zu führen. Es gebe nur eine Alternative: die BJP und ihn.

Mühelos kann er solche Anwürfe untermauern – zum Beispiel mit dem Wertverlust der indischen Rupie, der rasanten Inflation (im August ein Preisanstieg von 18,8 Prozent) oder der wirtschaftlichen Talfahrt. Modis Lieblingsthema bei seinen öffentlichen Auftritten: Das Land braucht einen entschlossenen Führer, um den grenzüberschreitenden Terrorismus – ein Wink mit dem Zaunpfahl an Pakistan – und die Bedrohung der inneren Sicherheit durch die maoistische Guerilla zu kontern, die Wirtschaft anzukurbeln und Indien zur Regionalmacht zu katapultieren. Mit an Überheblichkeit grenzender Selbstsicherheit prophezeit er, die Leistungen der von der BJP regierten Bundesstaaten sein so großartig und überzeugend, daß am Wahlerfolg seiner Partei kein Zweifel bestehe. Parteiführer Arun Jaitley bestätigt: Die Nominierung Narendra Modis sei eine den Sieg garantierende Entscheidung.

Ein Makel läßt sich trotz all seiner grandiosen Selbstdarstellung nicht vertuschen. »Namo« hat das Image eines Hindu-Nationalisten. Deshalb bestehen nicht nur unter der muslimischen Minderheit, sondern auch in den säkularen Kreisen der Gesellschaft erhebliche Zweifel, ob ein Mann dieser Ausrichtung die beste Option wäre, den multireligiösen Vielvölkerstaat zu regieren. Zwielichtig bleibt seine Rolle bei den Massakern im Jahre 2002 in Gujarat, denen mehr als 1000 Muslime zum Opfer fielen.

Auch in den eigenen Reihen sind längst nicht alle in der Parteiführung von »Namo« begeistert. Der geschätzte Parteiveteran Lal Krishna Advani verweigerte dem Emporkömmling seinen Segen, ja er trat von all seinen Ämtern zurück, als Modis Aufstieg begann. Advanis enger Berater Sudhindra Kulkarni schätzte unverblümt ein: »Eine Person wie Modi wird die Gesellschaft spalten (…) und ist auch in seiner Partei eine polarisierende Figur geworden. Er wird nicht in der Lage sein, eine stabile Regierung zu bilden.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. September 2013


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