Weihnachtsgeschenk für Indiens Dalits?
Von Hilmar König, Delhi *
Indiens Dalits, die zusammen mit den indigenen Adivasi die am meisten
ausgegrenzte und diskriminierte soziale Schicht bilden, wissen noch
nicht so recht, ob sie den Bericht der Nationalen Kommission für
religiöse und sprachliche Minderheiten als eine Art Weihnachtsgeschenk
verstehen können. Er wurde am 18. Dezember dem Parlament vorgelegt und
empfiehlt der Regierung, die christlichen Dalits auf die gleiche Stufe
mit allen anderen Dalits zu stellen.
Nun liege es an der Regierung, für Gerechtigkeit zu sorgen, kommentierte
der Menschenrechtler John Dayal, der besonders für die Interessen der
christlichen Minderheit Indiens eintritt, das Ereignis. Die Dalits -
immerhin rund 16 Prozent des 1,2-Milliarden-Volkes - stehen außerhalb
des hinduistischen Kastenwesens auf der untersten sozialen Stufe und
werden in vielen Landesteilen immer noch als Unberührbare geächtet.
Kastenhindus diskriminieren, schlagen, töten die Ausgestoßenen, wenn die
absichtlich oder unbeabsichtigt die Kastengrenzen überschreiten. Sie
dürfen beispielsweise kein Wasser aus dem Dorfbrunnen schöpfen, aus dem
sich Angehörige der Oberkasten bedienen. Sie dürfen deren Tempel nicht
betreten. Bei Auseinandersetzungen etwa um Landbesitz ziehen in der
Regel die Kastenlosen den Kürzeren, weil sich die Behörden parteiisch
verhalten. Wegen dieser Ausgrenzung konvertierten und konvertieren
Dalits zum Christentum, zum Islam, zum Buddhismus oder zum Sikhismus.
Damit entrinnen sie zwar der Kastenhierarchie. Doch ihr sozialer Status
bleibt meistens unverändert. Sie gehören weiter zu den Ärmsten der
Armen. Deshalb bestehen seit Langem gesetzliche Regelungen, die
Rechtlosen wirtschaftlich und politisch zu fördern. So gibt es für sie
eine Beschäftigungsquote in staatlichen Unternehmen und Verwaltungen, an
Universitäten und öffentlichen Institutionen. Doch bislang gelten solche
Vergünstigungen nicht für christliche Dalits. Der Bericht der
Minderheitenkommission öffnet ihnen nach Jahrzehnten zähen Ringens
zumindest den Weg zur Gleichberechtigung.
Ein weiterer Vorschlag in dem Report, den nichthinduistischen
Minderheiten 15 Prozent der Sitze an allen Bildungseinrichtungen zu
sichern, stößt dagegen auf den erbitterten Widerstand
hindufundamentalistischer Gruppen. Sie bewerten diese Initiative als
»verfassungswidrig« und kündigten landesweite Protestaktionen an.
Zeitgleich mit der Vorlage des Kommissionsberichts sitzt Udit Raj, einer
der prominenten Dalit-Führer Indiens, im Jantar-Mantar-Park im Zentrum
Delhis und will nach Gandhi-Manier mit einem »Hungerstreik bis zum Tode«
weitere Rechte der Kastenlosen erkämpfen. Er fordert, dass auch im
Privatsektor ein Quotensystem für Dalits eingeführt wird. Das Parlament
hatte dafür bereits einen Gesetzentwurf erarbeitet, der aber in diesem
Jahr wieder zurückgezogen wurde. Udit Raj erhält Unterstützung. Ardhendu
Bhushan Bardhan, Generalsekretär der KP Indiens, suchte ihn auf und
erklärte sich solidarisch mit ihm, ebenso der Hindureformer Swami
Agnivesh, der Parlamentsabgeordnete Kamal Kishore und zahlreiche
Menschenrechtsaktivisten.
Joseph d' Souza vom Dalit Freedom Network erklärte den Hintergrund des
Hungerstreiks: Nach grundlegenden Reformen in der Finanz- und
Wirtschaftspolitik in den 90er Jahren sei der staatliche Sektor
geschrumpft. Viele staatliche Betriebe seien privatisiert worden.
Deshalb seien Millionen Jobs verloren gegangen. Die große Mehrheit der
privaten Unternehmen, inklusive die Filialen multinationaler Konzerne,
hätten keinerlei Regelungen für Dalits. Politik und Wirtschaft müssten
dafür sorgen, »vernachlässigte Bürger, besonders die Dalits, in die neue
Ökonomie einzubeziehen«.
Madhu Chandra vom Allindischen Christlichen Rat verwies auf die in den
letzten Monaten noch verschärfte Situation. Die Preise für
Grundnahrungsmittel stiegen drastisch. Das kombiniert mit der Tatsache,
dass viele Menschen keine feste Anstellung im wachsenden Privatsektor
bekommen, bedeute für Millionen Dalits, ums Überleben kämpfen zu müssen.
* Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2009
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