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Verletzte, starke Seele

Eine Legende: Phoolan Devi, "Banditenkönigin", Politikerin, Kämpferin gegen Männergewalt. Vor 50 Jahren wurde sie im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh geboren

Von Jana Frielinghaus *

Es ist nicht ganz sicher, aber es wird angenommen, daß 1963 ihr Geburtsjahr ist. Nur der Tag gilt als verbürgt. Es ist der 10. August, an dem das indische Blumenfest gefeiert wird. Geboren als zweites von sechs Kindern einer armen Bauernfamilie aus einer der untersten Kasten, wurde Phoolan Devi schon als Elfjährige mit einem Mann verheiratet, der ihr Vater hätte sein können. Er mißhandelte und verstieß das Mädchen. Von da an war die gerade 14jährige Freiwild – und immer wieder Opfer viehischer sexueller Gewalt, auch von Seiten der Polizei. Man sollte denken, das alles hätte gereicht, um mehrere Frauen in den Wahnsinn oder in den Suizid zu treiben – jenseits der körperlichen Verletzungen, an denen sie hätte sterben können. Nicht so Phoolan Devi: Die an ihr begangenen Verbrechen entfachten in ihr eine unbändige Wut, auch Rachedurst; eine Form des Aufbegehrens, die sie bald zur Legende werden ließen.

Ja, sie befürwortete Gewalt und übte sie aus, unter anderem gegen ihren ersten Ehemann. An mehreren ihrer Peiniger und an denen, die andere Frauen vergewaltigt hatten, soll sie Selbstjustiz verübt haben – was daran wahr ist, läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Auch objektiv scheint es so zu sein, daß es – und das noch heute – in weiten Teilen Indiens für Frauen kaum einen anderen Weg aus noch immer alltäglicher brutaler Unterdrückung und Mißachtung ihrer Rechte gibt als – im Zweifelsfall bewaffnete – Selbstverteidigung bis hin zur Gegengewalt. So ist eine Folge der tödlichen Gruppenvergewaltigung einer Studentin im Dezember in Neu-Delhi ein enormer Zulauf zu Frauengruppen, die bedrohten Geschlechtsgenossinnen vereint zu Hilfe eilen. In den letzten Monaten wurden mehrere Fälle bekannt, in denen Gangs junger Frauen Angreifer oder Männer, die »nur« belästigten, in die Flucht prügeln.

Phoolan Devi setzte sich – selbst noch ein Teenager – an die Spitze einer Bande, von der sie zuvor entführt worden war. Einen der Anführer heiratete sie. Nach dessen Ermordung durch einen früheren Partner gründete sie ihre eigene Bande mit einem Teil der Männer. Sie sah sich selbst als Reinkarnation der zehnarmigen Göttin Durga, die Dämonen tötet. 1981 soll sie ein Massaker an mehr als 20 Männern einer hohen Kaste begangen haben – als Vergeltung für Vergewaltigungen. Als »Banditenkönigin« berühmt wurde sie, weil sie Reiche bestahl und die Erträge der Raubzüge unter Armen verteilte. Am Ende wurde die Bande von Paramilitärs gejagt. Auf ein Dorf, in dem sie sich versteckt hatte, wurden Bomben abgeworfen. Am 12. Februar 1983 streckte sie öffentlich die Waffen und ergab sich dem Ministerpräsidenten von Madhya Pradesh, Arjun Singh. Tausende kamen zu diesem Ereignis. Zuvor war ein Vertrag ausgehandelt worden, der ihr und ihren 37 Bandenmitgliedern höchstens acht Jahre Haft und ihrer Familie Land zusicherte. Während ihre Männer aber tatsächlich nach dieser Zeit entlassen wurden, blieb sie selbst elf Jahre inhaftiert. Erst im Februar 1994 wurde sie wegen eines Krebsleidens begnadigt. Einen Prozeß gegen Devi hat es nie gegeben – offenbar, weil in einem Gerichtsverfahren auch Mißhandlungen durch die Polizei und Mißstände in Behörden zur Sprache gekommen wären.

Nach ihrer Entlassung kandidierte sie zweimal, 1996 und 1999, für die linke Samajwadi-Party zu den Parlamentswahlen und gewann beide Male ein Mandat. Von den Armen wurde sie als Göttin verehrt und als eine der Ihren, der Gedemütigten und Vogelfreien, gefeiert. Der Spiegel berichtete im April 1996 von ihrer Wahlkampftour und zitierte sie mit den Worten: »Ich habe die bestohlen, die mich bestohlen haben. Tut es mir gleich! Für jeden Hieb, den ihr bekommt, gebt zwei zurück. Fürchtet euch nicht, hackt die Hand ab, die euch foltert!« Als Abgeordnete stritt sie von nun an gleichwohl mit zivilen Mitteln insbesondere für die Rechte der Frauen – und zog so weiter den Haß der einflußreichen Männer aus den höheren Kasten auf sich. Am 25. Juli 2001 wurde sie vor ihrem Haus in Neu-Delhi erschossen.

Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo, Michaela Karl, Hilmar König: Phoolan Devi. Die Rebellin (Bibliothek des Widerstands, Band 13, mit 2 DVDs), Laika Verlag, Hamburg, 2012, 176 S. 24,90 Euro
Siehe Besprechung in jW vom 25.1.13).
Zu einer weiteren Buchbesprechung geht es hier!.

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. August 2013


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