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Opfer nicht mehr namenlos

Indien: Vater und Freund der vergewaltigten Studentin brechen ihr Schweigen

Von Hilmar König *

Der Vater der jungen Frau, die am 16. Dezember vorigen Jahres in Delhi von sechs Männern vergewaltigt worden und am 29. Dezember in einem Krankenhaus in Singapur gestorben war, enthüllte am Sonntag in einem Interview für die britische Zeitung Sunday People die Identität seiner Tochter: »Wir wollen, daß die Welt ihren wirklichen Namen kennt: Jyoti Singh Pandey.« Sie habe nichts Falsches gemacht, sondern sei ums Leben gekommen, als sie sich gegen die Täter wehrte. Badri Singh Pandey, der 53 Jahre alte Vater, sagte weiter: »Ich bin stolz auf sie. Ihren Namen zu enthüllen gibt anderen Frauen, die solche Überfälle überlebt haben, Mut. Sie werden Kraft finden durch meine Tochter.«

In Indien verbietet ein Gesetz die Veröffentlichung der Namen von Vergewaltigungsopfern, es sei denn, die Frau verlangt es. Da die 23jährige Jyoti tot ist, tat das der Vater nun an ihrer statt. Der Reporter besuchte die Familie in ihrem Heimatdorf Billia im Bundesstaat Uttar Pradesh. Die 46 Jahre alte Mutter Asha sah sich noch nicht in der Lage, über den Verlust ihrer Tochter zu sprechen. Badri Singh Pandey forderte die Todesstrafe für alle sechs Täter. Sie seien »Bestien, nicht von dieser Welt«. Die Gesellschaft dürfe es nicht zulassen, daß ein solches Verbrechen noch einmal geschehen könne. Es habe sie alle sehr bewegt, wie stark die Bevölkerung Anteil am Schicksal Jyotis genommen hat. »In diesem Sinne fühle ich, daß sie nicht nur unsere, sondern Indiens Tochter ist«, äußerte er. Er habe die Hoffnung, daß die Proteste ein Umdenken bei den Menschen auslösen und daß Eltern künftig ihre Söhne in Respekt vor den Frauen erziehen. Dann wäre der Tod der Tochter nicht umsonst gewesen.

Jyotis Begleiter sei nichts weiter als ein guter Freund gewesen, der sie beschützen und retten wollte. Von Heirat sei keine Rede gewesen, zumal beide unterschiedlichen Kasten angehörten. Die Tochter konzentrierte sich auf ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin und wollte erst einen Job, so der Vater. Sie machte gerade ein Praktikum in einer Privatklinik und träumte davon, einmal Ärztin zu werden. Doch dafür sei die Familie finanziell zu schwach gewesen. Badri Singh Pandey verdient als Gepäckverlader auf dem Airport von Delhi 5700 Rupien im Monat, etwas mehr als 80 Euro. Damit kommt die Familie mit zwei Söhnen mehr schlecht als recht über die Runden. Deshalb hatten sich alle Hoffnungen auf Jyoti gerichtet, die als Fachkraft den Familienetat mit ihrem Gehalt spürbar aufgebessert hätte.

Awindra Pratap Pandey, der 28 Jahre alte Begleiter des Vergewaltigungsopfers, war am Freitag vor den Kameras des Privatsenders Zee TV an die Öffentlichkeit gegangen und hatte schockierende Einzelheiten über den Vorfall berichtet, bei dem er ebenfalls mißhandelt worden war. Demnach lagen die beiden unbekleideten, schwerverletzten und blutenden Opfer eine halbe Stunde am Straßenrand, begafft von Vorbeifahrenden, ehe endlich einer die Polizei verständigte. Die Beamten wiederum hätten sich eine halbe Stunde lang gestritten, welches Revier zuständig sei. Schließlich seien beide in ein Krankenhaus gefahren worden, aber nicht in das nächstgelegene. Im Hospital hätte es wieder lange Wartezeiten gegeben. Oppositionspolitiker forderten angesichts dieser Vorwürfe die Entlassung des Polizeichefs von Delhi.

Das Verfahren gegen die Täter wird am heutigen Montag vor dem Gericht Delhi-Saket fortgesetzt. 80 Zeugen sollen gehört und zwölf Beweisstücke ausgewertet werden. DNA-Tests sollen bereits die Täterschaft aller sechs Angeklagten bestätigt haben.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Januar 2013


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