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Ganges-Quelle droht zu versiegen

Globale Klimaerwärmung lässt die den Fluss speisenden Gletscher im Himalaya schmelzen

Von Christoph Nepram, Delhi *

Der Ganges ist einer der bedeutendsten Flüsse Indiens. Rund eine halbe Milliarde Menschen leben vom und mit dem Strom. Hindus verehren ihn als heilig. Aufgrund des Klimawandels droht jedoch ein Abschmelzen der Gletscher im Himalaya, deren Wasser auch den Ganges speisen.

Der Ganges entsteht im westlichen Himalaya durch die Vereinigung der beiden Hochgebirgsflüsse Bhagarathi und Alaknanda (Foto: Nepram). Diese Zuflüsse werden von den Schmelzwassern zweier mächtiger Gletschergebiete gespeist – einer davon der 250 Quadratkilometer große Gangotri-Gletscher.

Doch diese Quelle droht zu versiegen. Laut eines Berichts des Weltklimarates der Vereinten Nationen schrumpfen die Gletscher im Himalaya rapide, auf ein Fünftel der heutigen Fläche bis zum Jahre 2035. Noch speichern die riesigen Schneefelder und Gletscher 12 000 Kubikkilometer Süßwasser.

Nach Erhebungen des indischen Geologen Syed Iqbal Hasnain hat sich der Gangotri-Gletscher zwischen 1985 und 2001 pro Jahr um durchschnittlich 23 Meter zurückgezogen. Für diese Veränderungen sehen Experten zwei Ursachen – die weltweite Klimaerwärmung, verursacht durch massiven Ausstoß von Treibhausgasen sowie ein regionales Klima-Phänomen, das unter dem Namen »braune Wolke« für Schlagzeilen gesorgt hat. Diese Wolke setzt sich aus Schwebeteilchen, sogenannten Aerosolen zusammen. Sie entsteht durch Holzfeuer und Brandrodungen in Südasien. Ungefilterter Rauch aus Fabrik- und Kraftwerksschloten der Region kommt noch dazu. Wissenschaftler des Scripps Institution of Oceanography in San Diego (US-Bundesstaat Kalifornien) berichteten im vergangenen Jahr im Fachblatt »Nature«, dass sich aufgrund der »braunen Wolke« die Temperatur in der unteren Atmosphäre seit 1950 stärker erwärmt als an der Erdoberfläche. Das trage womöglich auch zum Abschmelzen der Gletscher im Himalaya bei.

Geologe Hasnain hat noch einen dritten Aspekt für Schwund am Gangotri-Gletscher ausgemacht: »Der Gletscher zieht alljährlich hunderttausende Pilger an.« Der Pilger-Tourismus sorge ebenfalls für eine lokale Erwärmung, die das Abschmelzen des Gletschers beschleunigt.

Hält diese Entwicklung an, könnten Flüsse wie der Ganges in ein paar Jahrzehnten nur noch ein Drittel ihrer jetzigen Wassermenge führen. Die Auswirkungen flussabwärts wären verheerend. »In den drei großen Bundesstaaten der Gangesebene – Uttar Pradesh, Bihar und Westbengalen – ist die Landwirtschaft Haupterwerbsquelle«, erklärt Raman Mehta von der Hilfsorganisation Action Aid. »Das Wasser des Ganges sichert den ertragreichen Anbau.«

Geologe Hasnain fordert angesichts der dramatischen Entwicklung am Gangotri-Gletscher rasches Handeln. Zum einen müsse weltweit der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert werden. Zum anderen müsse die indische Regierung die Menschen am Ganges auf die bevorstehenden Veränderungen vorbereiten. Eine weitere Lehre sollte allerdings sein, am Gletscher die Zahl der Pilger zu reduzieren. Nur so, glaubt Hasnain, könne der Ganges auch in Zukunft fließen.

Gletscher

Gletscher nennt man in der Hauptsache jene Eismassen, die sich in Gebirgshöhen bzw. auf Breitengraden bilden, wo mehr Schnee fällt als wieder auftaut. Der abgelagerte Schnee verwandelt sich durch Antauen, Wiedergefrieren und den Druck nachfolgender Schichten über Zwischenstadien wie Firn in Gletschereis, das sich als langsamer Eisstrom ins Tal schiebt. Die Gletscher der Hochgebirge sowie das Inlandeis der Antarktis und Grönlands sind der größte Süßwasserspeicher der Erde. Neben ihrer Wassermenge beeinflusst ihre Lichtreflexion das Klima.



* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2008


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