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Schwere Last des Ganges

Abfall und Industriemüll von 400 Millionen Anrainern: Neues Maßnahmenpaket zur Rettung von Indiens heiligem Fluß bisher ungenügend umgesetzt

Von Thomas Berger *

Der Ganges ist ein prägender Teil Indiens. Auf insgesamt 2500 Kilometern windet sich der Strom aus den Bergen des Himalaya kommend quer durch die nördliche Tiefebene des Subkontinents. Inzwischen 400 Millionen Menschen leben an seinen Ufern. Doch die Lebensader ist dem Tod geweiht. Wenn sich nicht bald etwas tut. Seit Jahren bereits steht das Gewässer vor dem endgültigen ökologischen Kollaps. Nicht nur der Gangesdelphin, eine der weltweit gefährdeten Arten des Säugers, ist akut bedroht. Viele heimische Arten finden sich am Mittel- und Unterlauf nur noch ganz vereinzelt. Besonders dort ist Ganga Maa (Mutter Ganga) längst zur stinkenden Kloake verkommen.

Im Oktober 2011 hatte die indische Regierung ein großangelegtes Programm aufgelegt, um den Ganges bis 2020 grundlegend zu säubern. 70 Milliarden Rupien, umgerechnet rund 900 Millionen Euro, würde dies den Schätzungen zufolge kosten. Allerdings fällt die Zwischenbilanz ernüchternd aus. Wie bei vorherigen Maßnahmen dieser Art sind es die üblichen Symptome, an denen die Sanierung des Stroms krankt: Geld versickert, Behörden sind träge, einzelne Projekte stehen nur für sich. Fazit: Die Qualität des Flußwassers hat sich noch in keiner Weise gebessert.

Fast drei Jahrzehnte halten die Bemühungen, dem heiligsten Strom Indiens, ja ganz Südasiens neues Leben einzuhauchen, nun schon an. Seit 1985, als mit dem Ganga Action Plan I (GAP) das erste Maßnahmenpaket aufgelegt wurde, sind etwa 4,9 Milliarden Euro geflossen – mit kaum sichtbarem positiven Effekt. Eher das Gegenteil ist der Fall: Durch die weitere Zunahme der Bevölkerung, den Ausbau der Siedlungsstrukturen und Industrieanlagen und die Extensivierung der Landwirtschaft entlang der Ufer hat auch die Summe der schädlichen, teils sogar giftigen Stoffeinträge weiter zugenommen. 2009 wurde die Ganga River Basin Authority (NGRBA) ins Leben gerufen. Die mit Experten, Politikern und Verwaltungsleuten besetzte Sonderkommission unter Vorsitz von Premierminister Manmohan Singh, der damit das Anliegen symbolträchtig zur Chefsache erklärte, hat seit ihrer Konstituierung im Folgejahr aber erst zweimal getagt. Aus dem politischen Alltagsgeschehen ist das Thema zwischenzeitlich verschwunden.

Auch an der Umsetzung des 2011 aufgelegten derzeit letzten Programms wird allenfalls halbherzig gearbeitet. Eines der Kernprobleme ist, daß in sieben Jahren keine ungeklärten Abwässer mehr in den Ganges gelangen sollen. Bereits seit 2009/10 sind in 42 Städten am Fluß 53 Einzelprojekte in einem Kostenumfang von 26 Milliarden Rupien (310 Millionen Euro) angeschoben worden. Schon vor anderthalb Jahren übte der Umweltausschuß des indischen Parlaments heftige Kritik, weil der Verschmutzungsgrad trotzdem immer noch nicht zurückgegangen sei.

Es gibt ein paar echte Hoffnungsschimmer. Die verantwortlichen Stellen in Indien sind bemüht, ausländisches Know-how in die Rettungsbemühungen zu integrieren. Von Australien beispielsweise kommt Expertenrat, um in Kanpur, einem Zentrum der Gerbereibranche mit 500 Firmen, die industriellen Abwässer zu minimieren, wenn nicht ganz zu unterbinden. Das Indische Institut für Technologie (IIT) in Kanpur – eines von sieben IITs, die als ingenieurwissenschaftliche Partner eingespannt sind – hat den Kontakt zu »Sustainability Victoria« geknüpft. Dessen Chef Stan Krpan machte sich Ende Juni ein erstes Bild am Ort und führte diverse Gespräche: »Jetzt geht es darum, einen genauen Fahrplan zu erstellen«, sagte er anschließend. In dem südostaustralischen Bundesstaat Victoria haben die Experten bereits vor einem Vierteljahrhundert bei der Lösung des gleichen Problems gute Erfahrungen gesammelt. Das unterstützende Engagement in Nordindien soll nun von der staatlichen Entwicklungsagentur AustralianAID finanziert werden.

Nicht nur vom fünften Kontinent kommen Technologien und Fachleute. Auch Israel kann Erfahrungswerte und ingenieurtechnischen Sachverstand beisteuern. Zu einer Palette mehrerer Einzelprojekte, die in Kooperation mit den Partnern aus Nahost umgesetzt werden, gehören vor allem erfolgversprechende Großversuche, das System der Tröpfchenbewässerung in der Landwirtschaft des Subkontinents einzuführen. Die in Israel entwickelte Technologie setzt darauf, Wasser, Dünger und andere wichtige Zusätze mittels eines Leitungsnetzes auf den Feldern direkt an die Wurzeln der Planzen zu bringen – der Einsatz aller dabei ausgebrachten Stoffe minimiert sich auf diese Weise, in der Folge sinkt insbesondere die Masse des zu Monsunzeiten aus den Ackerböden ausgespülten Nitrats und diverser anderer Substanzen ins Flußwasser. Eine israelische Firma, Water Revive, hat ein System mit einer Art von »Bypässen« entwickelt, um Abwässer ableiten und klären zu können.

Technisch gibt es also etliche positive Ansätze. Woran es bisher hapert, ist die Einbeziehung des Menschen als direkter industrieller oder individueller Verschmutzer. Das soll sich nun ändern: Das Umweltministerium in Neu-Delhi will einen Sonderfonds auflegen und damit die Wirtschaft unmittelbar in die Mammutaufgabe Gangessäuberung involvieren. Außerdem laufen Arbeitseinsätze und Aufklärungskampagnen mit Anwohnern. In Haridwar, neben Varanasi heiligste Stadt am Flußlauf, beteiligten sich im Oktober 7000 Freiwillige an einer Aktion, sichtbaren Abfall aus dem Ganges zu bergen. In Varanasi wiederum, wohin viele Hindus wenigstens einmal im Leben pilgern und wo sie hoffen, daß ihre Asche nach ihrem Tod in den Ganges gestreut wird, haben kürzlich sieben Nichtregierungsorganisationen mit der Stadtverwaltung Verträge geschlossen. Die Vereine sind nun für die Sauberhaltung der zwölf wichtigsten Ghats verantwortlich, also jener Treppenabschnitte am Ufer, an denen täglich Tausende Menschen ein Bad nehmen und auch die Kremierungsstätten liegen.

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Dezember 2013


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