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Eine Fatwa gegen den Terrorismus

Indische Muslime sprechen von "schwerstem Verbrechen gegen die Menschheit"

Von Hilmar König, Delhi *

Auf Konferenzen und Kundgebungen in verschiedenen Teilen Indiens verurteilte die Führung der muslimischen Minderheit des Landes am Wochenende Terrorismus als Mittel, sich gegen Unrecht zu wehren, und forderte zugleich, die Verfolgung von Muslimen unter dem Vorwand des Kampfes gegen Terrorismus einzustellen.

Eine »Globale Friedenskonferenz gegen Terrorismus«, an der auch Politiker und Religionsführer aus Pakistan, Afghanistan, Sri Lanka, Indonesien und anderen asiatischen Staaten teilnahmen, und eine Massenkundgebung auf Delhis Ramlila Maidan sorgten am Sonnabend und Sonntag für Aufsehen. Vertreter der einflussreichen islamischen Hochschule Darul Ulum Deoband (DUD) und der nationalen islamischen Vereinigung Jamiat Ulema-e-Hind verabschiedeten gemeinsam ein Rechtsgutachten (eine »Fatwa«), das alle Formen von Terrorismus ablehnt. In dem Gutachten, das vor 15 000 Konferenzteilnehmern in Delhi verlesen wurde, heißt es, der Islam sei eine Religion des Friedens, der Brüderlichkeit und der Sicherheit. Terrorismus hingegen wird als das schwerste Verbrechen gegen die Menschheit charakterisiert.

In einer Deklaration wird konstatiert: »Es liegen Welten zwischen den Begriffen Terrorismus und Dschihad (Heiliger Krieg). Dschihad ist konstruktiv. Terrorimus ist destruktiv. Dschihad zielt auf die Herstellung von Frieden. Terrorismus ist das schlimmste Verbrechen im Sinne des Korans und des Islam.« In einem Appell an die indische Regierung und die internationale Gemeinschaft wird gefordert, für Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu sorgen, um dem Terrorismus Boden zu entziehen. Während der Konferenz verwiesen islamische Gelehrte wiederholt darauf, dass es im Glauben des Propheten Mohammed keinen Platz gibt für Terroristen und dass zwischen Terrorismus und Islam keine Beziehung existiert. Leider missbrauchten Terroristen die Religion für ihre Verbrechen und brächten damit den Glauben und die Koranschulen in Verruf. Deshalb sei es erste und vornehmste Pflicht eines jeden Muslims, gegen Gewalt aufzutreten. »Hände weg vom Terrorismus!« forderte DUD-Rektor Maulana Marghubur Rehman von den 160 Millionen indischen Muslimen und deren Glaubensbrüdern in aller Welt.

Der Sozialaktivist und Hindu-Reformer Swami Agnivesh wandte sich ebenfalls energisch dagegen, den Koran und den Islam zu diffamieren. Er scheue sich nicht, die USA als Terrorist Nummer eins zu bezeichnen, sagte Agnivesh. Viele der ausländischen Gäste empfahlen, eingehend die komplexen Merkmale und die Ursachen des Terrorismus zu untersuchen.

Die DUD gehört zu den wenigen Institutionen, die nach eingehendem Studium Terrorismus so definiert: »Jede Handlung, die sich gegen Unschuldige richtet, ob von einem Einzelnen oder einer Regierung oder einer privaten Organisation irgendwo auf der Welt ausgefuehrt, stellt im Lichte des Islam einen Akt von Terrorismus dar.« Die »Fatwa« nennt das Töten Unschuldiger, Friedensbruch und Blutvergießen als solche Akte.

Die 150 Jahre alte DUD gilt nach der Al Azhar-Universität in Kairo als das bedeutendste Zentrum islamischer Theologie. Ihre Interpretationen und Lehren bilden die Grundlage für das Studium an tausenden Koranschulen Süd- und Mittelasiens. Deshalb wird von der richtungweisenden »Fatwa«, die von der DUD ursprünglich bereits im Februar formuliert worden war, eine beträchtliche Wirkung auf dem gesamten Subkontinent erwartet.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2008


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