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Janata-Partei auf Schlingerkurs

Stärkste indische Oppositionskraft steckt in tiefer Krise

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die BJP, die oppositionelle hindufundamentalistische Indische Volkspartei, »sieht nicht aus wie eine Partei, die wieder regieren könnte.« Das schreibt die Zeitung Indian Express zur tiefen Krise, von der die Bharatiya Janata Party (BJP), mit 116 Abgeordneten die stärkste Oppositionskraft im indischen Parlament, gegenwärtig geschüttelt wird. Sie hat ihre schmerzliche Niederlage vom April/Mai bei den Parlamentswahlen noch nicht verkraftet, ist von inneren Machtkämpfen zerrissen und zeigt sich hilflos, mit geharnischter Kritik aus den eigenen Reihen fertig zu werden. Zum gleichen Thema meint die Hindustan Times, die BJP habe ihre Rolle als Oppositionspartei vergessen. Und The Hindu glaubt, die aktuellen Manöver der Parteiführung seien Signale »politischer Verzweiflung«.

Was ist passiert? Zu Wochenbeginn attackierte Arun Shourie, der während der BJP-Regierungszeit von 1998 bis 2004 Minister für Privatisierungen in der Wirtschaft war, in scharfer Form den Parteivorstand. Die Partei müsse renoviert werden, denn sie treibe wie »ein Drachen ohne Schnur« im Wind. Shourie sieht momentan keine Leute in der Führung, die über eine solche Autorität verfügen, daß sie die Zügel in die Hand nehmen könnten. Parteipräsident Rajnath Singh sei ein Weichei und müsse ausgewechselt werden. Die Erneuerung sollte an der Spitze beginnen und frisches Blut aus den BJP-Grundorganisationen der Bundesstaaten kommen.

Der fundamentalistische Hindu-Freiwilligenverband RSS, der die ideologische Basis der BJP darstellt und dem etliche militante Organisationen hörig sind, will sich offiziell nicht einmischen, allerdings Ratschläge erteilen, damit die BJP als sein politischer Arm »die richtigen Schlußfolgerungen zieht«. Allerdings spricht auch dessen Führung von »politischen, ideologischen und organisatorischen Abweichungen«, die die BJP gegenwärtig plagen.

Der RSS will den Charakter der BJP als Hindu-Partei noch stärker ausprägen. Es geht dabei um das verstaubte Hindutwa-Konzept, das sich mit der Liberalisierung, der Öffnung Indiens und der Globalisierung beißt und bei der Jugend und der konsumorientierten Mittelschicht immer weniger Anklang findet. Hindutwa -- das Hindutum, bedeutet »kultureller Nationalismus«, also die Verabsolutierung der religiösen Werte, Traditionen und Bräuche der hinduistischen Mehrheit. Vor allem die Jungen können mit diesen nebulösen Begriffen nichts anfangen. Für die Masse der Bevölkerung steht ohnehin der tägliche Existenzkampf im Vordergrund. Die Hardliner schließen so rund 150 Millionen Muslime und Millionen Angehörige anderer Minderheiten als »Nicht-Inder«, die sich in den religiösen Hauptstrom integrieren müßten, aus der Gesellschaft aus; Extremisten sprechen ihnen sogar das Recht auf Heimat ab.

Der Vorstand der BJP zeigte sich zwar von Shouries »unglücklichen Bemerkungen« schockiert, räumt ihm aber die Chance ein, seine Positionen zu erläutern und zu klären. Erst danach will man eventuell Disziplinarmaßnahmen ergreifen.

* Aus: junge Welt, 28. August 2009


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