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Kohle für Konzerne

In Indien sorgt ein Skandal um verbilligte Förderlizenzen für Aufregung

Von Thomas Berger *

Eine Untersuchung des indischen Rechnungshofes sorgt für Aufregung im politischen Establishment von Neu-Delhi. Unglaubliche 210 Milliarden Dollar an Einnahmen sollen dem Staat in den Jahren 2004 bis 2011 entgangen sein, weil Kohleförderlizenzen zu verbilligten Konditionen vergeben wurden.

Nur wenige Monate nach einem Skandal um ohne Ausschreibung zu Billigkonditionen an ausgewählte Konzerne vergebenen Mobilfunklizenzen stehen Indiens Premier Manmohan Singh und sein Kabinett damit einmal mehr unter Erklärungsdruck. Der Rechnungshof hat einen Fragenkatalog mit der Forderung nach zügiger Antwort an den Regierungschef geschickt, der pikanterweise selbst in Personalunion auch Kohleminister ist. Klar ist schon jetzt, daß es eine Lizenzvergabe an staatliche und private Unternehmen gegeben hat, die allen haushaltsrechtlichen Kriterien widerspricht. Dies hatte erst kürzlich der Oberste Gerichtshof Indiens in einem Grundsatzurteil zum Mobilfunkskandal bekräftigt und die damals vergebenen 122 Lizenzen eingezogen.

Von den jetzt aufgeflogenen 155 Kohle­lizenzen haben vor allem einige der bekanntesten Unternehmen der indischen Wirtschaftswelt profitiert. Das Tata-Imperium ist über Tochtergesellschaften ebenso vertreten wie die Aditya Birla Group, Arcelor Mittal, die Essar-Gruppe oder der Konzern des Multimilliardärs Anil Aggarwal. Äußern wollte sich von diesen zunächst niemand. Lediglich Naveen Jindal, Konzernchef der Jindal-Gruppe, versuchte vergeblich, sich zu rechtfertigen. Es handle sich doch ausschließlich um »indische Unternehmen, die Wohlstand für unser Land generieren«, erklärte er. Für den Rechnungshof wie für die breite Öffentlichkeit ist das aber nebensächlich. Der neue Skandal erschüttert erneut das ohnehin auf einem Tiefpunkt angelangte Vertrauen in die Politik.

Die wichtigste Oppositionskraft, die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), versuchte zwar bereits, auf den Zug der Empörung aufzuspringen, muß sich jedoch hüten, allzu laut zu schreien. Im südlichen Unionsstaat Karnataka ist erst unlängst eine BJP-Regionalregierung über ähnliche Vorfälle gestolpert. Zwei Brüder, die an der Spitze eines Bergbaukonzerns standen, hatten es bis in hohe Ministerämter geschafft und sich dort lukrative Aufträge zugeschanzt

* Aus: junge Welt, 30. März 2012


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