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Staat kontra Markt

"Rettet das Land – und nicht die Regierung": Indienweite Kampagne der Linkskräfte gegen die anhaltende massive Verteuerung von Nahrungsmitteln

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Kurzzeitig hinter Schloß und Riegel wanderten am Samstag die Führer der indischen Vereinten Nationalen Progressiven Allianz (UNPA), darunter die Vorsitzenden der beiden kommunistischen Parteien. Sie hatten in Neu-Delhi nahe des Parlaments eine Demonstration von etwa 10000 Menschen geleitet, mit der gegen Inflation und Preisauftrieb protestiert werden sollte. Nach hundert Metern wurde der Zug von Polizeisperren gestoppt, die Anführer verhaftet, doch nach kurzer Zeit wieder entlassen.

Noch bis zum Mittwoch soll die Kampagne indienweit fortgesetzt werden. Gefordert wird ein stärkeres Eingreifen des Staates in den »Marktmechanismus«, der zu enormen Preissteigerungen von Reis, Weizen, Kartoffeln, Gemüse, aber auch Stahl, Zement und natürlich Erdöl und petrochemischen Produkten geführt hat. Für die Armen, die mit nicht einmal umgerechnet einem Euro pro Tag auskommen müssen, bedeutete die Entwicklung der vergangenen Wochen, die ohnehin karge Mahlzeit noch weiter zu reduzieren. Die Inflationsrate stieg auf über sieben Prozent.

»Rettet das Land und nicht die Regierung!« So hörte man Rufe auf der Demonstration. Sie waren eindeutig an die Linken gerichtet, die das Kabinett des marktreformistischen Premiers Manmohan Singh »von außen« unterstützen. Daß sie in vielen Punkten mit dessen politischem und ökonomischem Kurs nicht einverstanden sind, belegt die Protestwelle wie auch die Ablehnung des Nukleardeals mit den USA.

Ein Meeting vor Beginn des Demonstrationszugs verabschiedete ein Memorandum, in dem die Regierung zu effektiven Maßnahmen gegen die Preislawine aufgefordert wird. Dazu gehört, das staatliche Verteilungssystem zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Ärmsten wiederzubeleben. Es war in den vergangenen Jahren regelrecht demontiert worden und soll nun, so die Forderung der Linken, um 15 wichtige Lebensmittel erweitert werden. Dazu gehört, das spekulative Handeln mit 25 Agrarerzeugnissen am Markt zu verbieten, den Ölpreis durch Steuersenkungen zu reduzieren, den staatlichen Aufkauf von Getreide anzukurbeln und strikt gegen Schwarzhändler, Spekulanten und Hamsterer vorzugehen. Erst die Liberalisierung, so die UNPA, habe Indien so anfällig gegenüber dem Weltmarkt gemacht und die Lebensmittelsicherheit untergraben. Die nationalen Aufkauf- und Verteilungsmechanismen seien der Globalisierung geopfert worden. Deshalb leide auch Indien nun unter Weltmarktpreisen, die bei Weizen im Finanzjahr 2007/08 um 92 Prozent und bei Sojabohnen um 65 Prozent gestiegen sind.

Ardendhu Bhushan Bardhan, Generalsekretär der KP Indiens, verlangte von der Regierung, dem Agieren der multinationalen Konzerne einen Riegel vorzuschieben, die im Nahrungsmittelsystem das Kommando übernommen hätten. Deren Monopol beginne bei Saat, Produktion und Verarbeitung und reiche bis zum Kleinhandel. Begünstigt werde es durch liberalisierte Importe und exportorientierte Landwirtschaft. Prakash Karat, Generalsekretär der KPI (Marxistisch), kündigte verschärfte Proteste an, wenn die Regierung, die den Export von Nicht-Basmati-Reis verboten und einen massiven Import von Hülsenfrüchten angeordnet hat, nicht weitere Maßnahmen ergreift, um die Preislawine zu stoppen.

* Aus: junge Welt, 21. April 2008


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