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Immerhin ein Anfang

Urteil des Sondergerichts in Mumbai über den Terroristen Kasab rückt indo-pakistanisches Verhältnis wieder in den Blickpunkt

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Mohammed Ajmal Kasab, der einzige Überlebende der zehn pakistanischen Terroristen, die am 26. November 2008 in Mumbai über 160 Menschen umbrachten, ist am Montag von einem Sondergericht für schuldig befunden worden, »Krieg gegen Indien geführt zu haben«. Das Strafmaß -- die indische Öffentlichkeit erwartet die Verurteilung zum Tod -- wird am heutigen Dienstag verkündet. Damit sind die indo-pakistanischen Beziehungen erneut in den Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Noch Ende April hatte Islamabad verlangt, Kasab auszuliefern und der pakistanischen Gerichtsbarkeit zu unterstellen, was Indien als absurd zurückwies.

Erst vorige Woche hatten sich Manmohan Singh und Jusuf Raza Gilani, die Premiers der beiden Nachbarländer, auf dem Südasien-Gipfel im bhutanischen Thimpu die Hand gereicht und damit ein Signal gegeben für die Wiederaufnahme des seit anderthalb Jahren unterbrochenen Friedensdialogs. Eben das Blutbad, das Kasab und Komplizen in Mumbai angerichtet hatten, hatte die Beziehungen beider Staaten extrem verschlechtert. Deshalb war es nun doch eine Überraschung, daß es in Thimpu zu einer indo-pakistanischen Begegnung kam, die nicht ohne Gewicht zu sein scheint. Zu einer gemeinsamen Erklärung nach dem Treffen hat es zwar nicht gereicht, doch gaben sich beide Seiten zuversichtlich, den Weg aus der Sackgasse zu finden.

Indien stellte keine Vorbedingungen für die Dialogaufnahme. Pakistan versicherte, die Besorgnisse des Nachbarn über die grenzüberschreitenden terroristischen Aktivitäten ernst zu nehmen. Beide ließen die Bezeichnung »umfassender Dialog« -- womit der gesamte vom Kaschmirproblem bis zu Grenzfragen reichende Themenkomplex gemeint war -- unter den Tisch fallen. Zu einem solch breiten Austausch braucht es offenbar noch mehr Zeit. In Thimpu ging es ja nicht um Verhandlungen, sondern lediglich darum, einen politischen Klimawandel einzuleiten. Um den zu erahnen, muß man die nach dem Treffen abgegebenen Erklärungen des pakistanischen Außenministers Shah Mehmud Qure­schi und der indischen Staatssekretärin Nirupama Rao freilich gewissenhaft auf ihren Inhalt abklopfen.

Rao sagte: »Die Instruktionen der Premiers lauten, daß sich Außenminister und Außenamtsstaatssekretäre so bald wie möglich treffen sollten.« Die Gedanken seien »wirklich in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit gerichtet«. Minister Qureschi »konkretisierte«, man habe sich darauf geeinigt, »Modalitäten für das künftige Engagement« auszuarbeiten. Die Medien in beiden Ländern interpretierten das so: Man müsse erst Vertrauen schaffen, bevor man an die Beratungen über die zahlreichen bilateralen Probleme gehen kann. Ob das schon den »Durchbruch«, wie eine indische Zeitung euphorisch behauptete, im festgefahrenen Verhältnis reflektierte? Die Frage wird man erst nach Wochen oder Monaten beantworten können.

Beim Gipfel der Blockfreien im Juli 2009 im ägyptischen Scharm-Al-Sheikh hatten sich beide Seiten nach einem Treffen der Premiers in einer gemeinsamen Erklärung zum Dialog bekannt. Doch Hardliner blockierten anschließend alle in diese Richtung gehenden Ansätze. Im April dieses Jahres beim Washingtoner Meeting zu nuklearer Sicherheit hatte es nur zu einem kurzen Händedruck zwischen Singh und Gilani gereicht. Auch nach Thimpu wissen beide Seiten, daß es sich vorerst um nicht mehr als vage Absichtserklärungen handelt. Immerhin ein Anfang. Aber den würde ein neuer von pakistanischen Extremisten ausgeheckter Terrorschlag à la Kasab und Co. auf indischem Gebiet sofort im Keime ersticken. Militante Extremisten torpedierten bisher jeden noch so vorsichtigen Versuch indo-pakistanischer Wiederannäherung mit selbstmörderischen Gewaltakten.

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2010


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