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"Wir sind nach wie vor eine starke Bewegung"

Bürgerrechtler Agarwal über den Kampf gegen ein gigantisches Staudammprojekt in Indien

Alok Agarwal ist Aktivist der Bewegung "Narmada Bachao Andolan" (NBA), die seit 20 Jahren gegen ein gigantisches Staudammprojekt im zentralindischen Narmada-Tal kämpft. Entlang des Flusses sollen 30 riesige, 135 mittlere und rund 3000 kleine Staudämme gebaut werden, wobei vor allem die großen Dämme die Lebensgrundlage Hunderttausender bedrohen. Dieser Tage informierte der 38-Jährige in Berlin über aktuelle Entwicklungen. Für das "Neue Deutschland" (ND) sprach mit ihm Stefan Mentschel.*

ND: In letzter Zeit haben wir in Europa wenig über den Kampf gegen die Staudamm-Projekte im Narmada-Tal gehört. Vor wenigen Jahren, als sich die Bestsellerautorin Arundhati Roy der NBA angeschlossen hatte, war das anders. Doch seit sie sich anderen Themenschwerpunkten zugewandt hat, ist auch die Narmada-Region aus dem medialen Scheinwerferlicht gerückt.

Zunächst einmal: Wir sind nach wie vor eine sehr starke Bewegung. Und wenn 10 000 Menschen im Narmada-Tal für ihre Rechte demonstrieren und die Öffentlichkeit nimmt keine Notiz davon, dann ist das kein Problem unserer Bewegung, sondern ein Problem der Medien. Durch Menschen wie Arundhati Roy konnten wir eine große nationale und internationale Öffentlichkeit erreichen. Aber ob mit ihr oder ohne sie - wir setzen unseren Kampf unbeirrt fort.

Wie ist die gegenwärtige Situation im Narmada-Tal?

Sechs Großdämme wurden inzwischen fertig gestellt, fünf befinden sich im Bau. Die anderen Dämme sind bislang über die Planungsphase nicht hinausgekommen. Ich möchte aber daran erinnern, dass wir bereits 1993 die Weltbank dazu gebracht haben, sich aus dem Projekt zurückzuziehen. Und kurz nachdem sich im Jahr 2000 mehrere Firmen - darunter Siemens - aus dem Projekt verabschiedet hatten, wurde der Bau des Maheshwar-Damms gestoppt.

Aber internationales Kapital fließt weiterhin ins Narmada-Tal.

Das ist richtig. Zwei Großdämme - Omkareshwar und Indira Sagar - werden von der Nationalen Entwicklungsgesellschaft für Wasserkraftenergie gebaut. Dieses staatliche Unternehmen arbeitet mit Krediten der britischen Banken Standard Chartered und Barclays sowie der Deutschen Bank. Es ist also europäisches Geld, das in die gewaltigen Dämme fließt.

Kürzlich haben Sie in London und Frankfurt (Main) Gespräche mit Vertretern dieser Banken geführt. Was haben Sie ihnen gesagt?

Wir fordern von den Banken, keine Projekte zu finanzieren, bei denen die Menschenrechte so massiv verletzt werden wie im Narmada-Tal. Allein durch diese zwei Dämme werden 250 000 Menschen vertrieben und rund 100 000 Hektar Land überflutet. Bislang wurden schon 150 000 Menschen umgesiedelt, ohne für den Verlust ihrer Dörfer und Äcker entschädigt worden zu sein - weder durch angemessenen finanziellen Ausgleich noch durch gleichwertiges Ersatzland.

Aber von staatlicher Seite gibt es doch Entschädigungsprogramme?

Die Menschen bekommen fast nichts. Die Regierung zahlt den betroffenen Gemeinden zwar einen kleinen finanziellen Ausgleich, aber der reicht bei weitem nicht aus, um etwa andernorts gleichwertiges Ackerland zu erwerben. Trotzdem werden die Menschen gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen.

Die Regierung argumentiert, Indien brauche die gigantischen Staudämme für seine rasante wirtschaftliche Entwicklung.

Wenn man über die Vorteile redet, darf man die Kosten nicht außer Acht lassen. Und bei den Dämmen im Narmada-Tal sind die Kosten weitaus höher also der Nutzen.

Inwiefern?

Allein die reinen Kosten sind gigantisch. 1990 wurde im Osten des Narmada-Tals der Bargi-Damm fertig gestellt. Er schluckte zehn Mal mehr Kapital als veranschlagt. Hinzu kommt, dass mit Hilfe dieses Damms insgesamt 450 000 Hektar Ackerland bewässert werden sollten. Doch 14 Jahre nach seiner Fertigstellung sind es lediglich 26 000 Hektar - weniger als die überflutete Fläche. Die ökologischen und sozialen Kosten lassen sich nur schwer quantifizieren. Artenreiche Wälder sind für immer verloren. Das Trauma der Menschen kann nicht mit Geld aufgewogen werden. Dem Bargi-Damm mussten in all den Jahren 162 Dörfer weichen. Ich frage Sie, wo sind da die Vorteile?

Gibt es Alternativen zu den großen Staudämmen?

Ja. Lokales Wassermanagement wie das Sammeln von Regenwasser wäre eine nachhaltige Möglichkeit, um mit dem Mangel umzugehen. Und bei der Energiegewinnung gibt es auch Alternativen. Derzeit gehen in Indien 50 Prozent des Stroms bei der Übertragung verloren. Wenn wir das auf 20 Prozent reduzieren könnten, wären 20 der geplanten Dämme vollkommen überflüssig.

Der Kampf geht also weiter.

Selbstverständlich. Wir kämpfen für die Rechte der Betroffenen, bis wir sie durchgesetzt haben. Aber wir kämpfen auch gegen ein unserer Meinung nach falsches Entwicklungsmodell, bei dem die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Bis zu einem neuen Entwicklungsmodell ist es noch ein langer Weg. Aber die Menschen im Narmada-Tal sind stark. Sie können alles erreichen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2004


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