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Neues Gesicht in Indiens Politik

Arvind Kejrival führt die "Partei des kleinen Mannes"

Von Hilmar König *

Am Montag verkündete der indische Bürgerrechtler Arvind Kejriwal auf einer Kundgebung in Delhi die Gründung seiner »Partei des kleinen Mannes «. Sie sei »das Ergebnis des Kampfes gegen Korruption«.

Tausende Anhänger waren in den Jantar-Mantar-Park im Zentrum der indischen Hauptstadt gekommen. Mit Bedacht war ein historisches Datum für die Kundgebung gewählt worden: Am 26. November 1949 wurde Indiens Verfassung angenommen. Am Montag wurde der 23-köpfige Vorstand der neuen Partei vorgestellt, den Arvind Kejriwal (44) leiten wird. Bereits am Sonnabend hatten 320 Mitglieder im Constitution Club of India die Partei aus der Taufe gehoben. Nach Auswertung von über 40 000 E-Mails war beschlossen worden, sie unter dem Namen »Aam Aadmi Party« (AAP) registrieren zu lassen. Die Bezeichnung bedeutet: Partei des Normalbürgers, des einfachen Mannes.

Kejriwal hatte sich bereits in der Bewegung »Indien gegen Korruption « des Bürgerrechtlers Anna Hazare profiliert. Diese gewaltlose, an Gandhis Prinzipien orientierte Bewegung mobilisierte in den vergangenen Jahren Millionen Inder gegen die landesweit verbreitete Bestechungspraxis. Einem Zerwürfnis zwischen Kejriwal und Hazare folgte im September die Trennung. Hazare weigerte sich, aus der Massenbewegung eine Partei zu machen. Das aber hielten die radikaleren »Dissidenten« für unabdingbar, um den Druck auf das politische System erhöhen zu können. Als ehemaliger Beamter kennt Kejriwal dessen Strukturen genau. Seit Monaten attackiert er hochrangige Politiker, Minister aus der Kongresspartei, Angehörige der Gandhi-Familie und den Vorsitzenden der oppositionellen Indischen Volkspartei (BJP), denen er Korruption in dieser oder jener Form vorwirft.

Bei der AAP-Gründung erklärte Kejriwal, die Mitglieder seiner Partei seien keine Politiker. Normalbürger, Frauen und auch Minderjährige könnten ihr beitreten – jeder, der die Nase von unfähigen und unehrlichen Politikern, von Korruption und Preistreiberei voll habe. Der kleine Mann habe beschlossen, die Politiker herauszufordern. Jetzt habe er eine Chance, ins Parlament einzuziehen. Pro Familie darf jedoch nur eine Person Parteimitglied werden, um eine dynastische Herrschaft – ein Vorwurf an die Nehru/Gandhi-Familie – unmöglich zu machen. Wer sich zur AAP bekennt, muss einen Eid leisten, sich sein Leben lang gegen Bestechung aufzulehnen. Das Land müsse vor weiterer Ausplünderung durch jene bewahrt werden, die vom kleinen Mann gewählt wurden, um eigentlich dessen Interessen durchzusetzen.

In einem Visionsdokument wird ein politisches System zum Ziel erklärt, das Menschen an der Basis direkt in die Gesetzgebung einbezieht. Es erinnert an Mahatma Gandhis Ruf nach »Swaraj«, nach Selbstbestimmung und Selbstherrschaft. In diesem Sinne will der Parteichef im kommenden Jahr durch ganz Indien reisen, um für sein Anliegen zu werben.

Ob der Normalbürger die AAP als Interessenvertreter akzeptiert, wird sich bei den Parlamentswahlen 2014 zeigen. Die regierende Kongresspartei gab sich zunächst gelassen. Generalsekretär Digvijay Singh kommentierte, Aam Aadmi müsse erst einmal Wahlen gewinnen, um ernst genommen zu werden. Und Informationsminister Manish Tewari meinte: »In Indien sind 1453 politische Parteien registriert. Eine mehr wird lediglich das demokratische Gewebe des Landes stärken.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. November 2012


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