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Söldner vor Indien

Rätsel um aufgebrachtes Schiff voller Bewaffneter. »MV Seaman Guard Ohio« kreuzte wochenlang nahe Tamil Nadu

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Ein am vergangenen Samstag von der indischen Küstenwache aufgebrachtes Schiff, die »MV Seaman Guard Ohio«, gibt den Behörden Rätsel auf. An Bord des Schiffes, das in Gewahrsam genommen wurde und nun im Hafen von Tuticorin im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu liegt, befanden sich 25 schwer bewaffnete Söldner. Was wollten sie in indischen Gewässern? Wieso kreuzte das »Geisterschiff« 30 Tage lang zwischen Tuticorin nahe der Südspitze des Subkontinents und Kundakalam, wo sich ein Atomkraftwerk befindet? Was ist mit der »Blackbox« des Schiffes, die den Indern bislang nicht ausgehändigt wurde?

Die Regierung in Neu-Delhi hat von der Seefahrtsbehörde Tamil Nadus einen detaillierten Bericht verlangt. »Das ist eine ernsthafte Angelegenheit, da es auf dem Schiff Waffen gab«, betonte ein Beamter des Innenministeriums. Die Besorgnisse sind verständlich, denn schon im Februar 2012 war es vor der Westküste zu einem folgenschweren Zwischenfall gekommen. Zwei indische Fischer waren bei der Arbeit vor Kerala von Sicherheitsposten eines italienischen Öltankers erschossen worden. Das komplizierte Gerichtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Außergewöhnlich an der »Seaman Guard Ohio« ist ihre »Internationalität«. Sie fährt unter der Flagge Sierra Leones im Auftrag der privaten US-Sicherheitsfirma AdvanFort mit Hauptsitz in Virginia. Heimathafen ist Galle in Sri Lanka. Die Besatzung besteht aus acht Indern und zwei Ukrainern, das Söldnerkommando aus 14 Esten, sechs Briten, vier Indern und einem Ukrainer. Neu-Delhi informierte die entsprechenden diplomatischen Vertretungen. AdvanFort hüllte sich nach dem Aufbringen ihres Schiffes zunächst in Schweigen. Dann gab Firmenchef William Watson eine abwiegelnde Erklärung ab. Er dankte der indischen Regierung, daß sie dem Schiff einen »sicheren Hafen angeboten hat, wo die Besatzung auftanken und Schutz vor dem Zyklon Phailin« finden konnte. Der Wirbelsturm tobte allerdings Hunderte Kilometer weiter nördlich und hatte keine Auswirkungen auf die Südküste Tamil Nadus.

Watson führte aus, es handele sich bei der »Seman Guard Ohio« um eine Art Plattform für »privat verpflichtetes bewaffnetes Sicherheitspersonal«, also um Söldner. Diese Kommandos würden Handelsschiffe durch riskante Gewässer begleiten, die von Piraten heimgesucht werden. Das erkläre auch »Uniformen, Schutzausrüstungen, Medizinkästen, Gewehre und Munition« an Bord des Schiffes. Alles sei bei AdvanFort ordentlich registriert.

Die Inder hatten 31 Sturmgewehre, halbautomatische Waffen und über 5000 Schuß Munition sichergestellt. Im August hatte das Schiff legal im indischen Hafen Kochi geankert. Dort meldete die Crew jedoch keine Waffen an und wurde daraufhin auch nicht kontrolliert.

Nehchal Sandhu, Indiens stellvertretender Sicherheitsberater, vertrat inzwischen die Ansicht, »daß es sich um ein schwimmendes Waffendepot für eine private Sicherheitsfirma« handeln könne. Möglicherweise eskortiere man Schiffe durch die Malakkastraße, den Arabischen Golf und den Golf von Aden, die von Piraterie bedroht sind. Ob sich diese Vermutungen bewahrheiten und welche Schlußfolgerungen es für Indien gibt, wird vom Ergebnis der eingeleiteten Untersuchungen abhängen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 17. Oktober 2013


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