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Bundesstaat Nummer 29

Indien: Andhra Pradesh wird aufgeteilt. Regierung beschließt Gründung von Telangana

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Kurz vor dem 66. Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens am 15. August wird die aus diesem Anlaß beschworene »Einheit in der Vielfalt« durch einen Beschluß der regierenden Kongreßpartei auf besondere Weise aktuell. Ihre Führungsgremien einigten sich in dieser Woche darauf, im Süden den 29. Bundesstaat zu gründen: Telangana, das einen Teil des bisherigen Andhra Pradesh umfassen soll.

Die Entscheidung, bis zu deren praktischer Umsetzung mindestens sechs Monate vergehen werden, hat »schlafende Hunde« geweckt. Im Darjeeling-Distrikt Westbengalens, wo starke Kräfte einen Staat »Gorkhaland« fordern, wurde sofort ein dreitägiger Generalstreik ausgerufen. Ab diesem Wochenende soll der Distrikt abgeriegelt und auf unbestimmte Zeit lahmgelegt werden. Touristen und Studenten von außerhalb dürfen nicht hinein. Für Westbengalens Chefministerin Mamata Banerjee kommt eine Abtrennung der Region jedoch nicht in Frage: »Darjeeling ist unveräußerlicher Bestandteil Westbengalens.«

Im benachbarten Assam verlangen gleich fünf verschiedene Bewegungen selbständige Länder im indischen Staatenbund. Mit Brandanschlägen, Straßenblockaden, der Zerstörung von Bahngleisen und Zusammenstößen mit der Polizei unterstreichen sie, wie ernst es ihnen ist. Eine Person wurde dabei bereits getötet, mehr als 20 verletzt. Die Regierung Assams verhängte über Teile des Bundesstaates eine Ausgangssperre, forderte Verstärkung für die Sicherheitskräfte an und alarmierte die Armee.

Hinsichtlich der Gründung von Telangana vertritt die indische Linke unterschiedliche Auffassungen. Die KP Indiens äußerte, der Beschluß sei unvermeidlich und seit langem überfällig gewesen. Das Politbüro der KPI (Marxistisch) erklärte hingegen, die Forderung nach mehr separaten Staaten würde dadurch befördert werden. In ihrer Wochenzeitung People’s Democracy warnte sie: »Die Bildung neuer Staaten auf der Basis verschiedener Identitäten hat ernste Konsequenzen nicht nur für den föderalen Inhalt, sondern auch für die Struktur der Verfassung sowie für das Entladen potentiell zerstörerischer Spannungen im Land.«

Ginge es nach dem Willen der »Separatisten«, würde in ganz Indien rund ein Dutzend neuer Bundesstaaten entstehen. Begründet wird dies meist damit, daß kleine Staatengebilde besser verwaltet und entwickelt werden könnten. Oft sieht sich zudem eine ethnische Gruppe diskriminiert oder vernachlässigt. Von einem eigenen Staat verspricht sich diese dann mehr soziale Gerechtigkeit und politische Mitsprache. Zudem spiegeln die Forderungen die spürbar gewachsene Rolle regionaler Parteien wider. Diese haben das frühere Monopol der Kongreßpartei und der hindu-nationalistischen BJP gebrochen, sind in etlichen Bundesstaaten an der Macht und wirken bei Koalitionsregierungen in Neu-Delhi mitunter als Zünglein an der Waage.

Im künftigen Telangana liegen 20 Prozent der indischen Kohlevorkommen. Hyderabad, die bisherige Hauptstadt Andhra Pradeshs, soll für die nächsten zehn Jahre gemeinsame Metropole Telanganas und des Restbundesstaates Seemandhra sein, obwohl dieser rund 250 Kilometer von Hyderabad entfernt liegt. Das künftige Telangana mißt 114000 Quadratkilometer und hat eine Bevölkerung von 35 Millionen. Seemandhra umfaßt 1600000 Quadratkilometer mit 50 Millionen Menschen.

Reibungslos kann die Neubildung nicht erfolgen. Streitpunkte sind u.a. die Aufteilung des Wassers der Flüsse Godavari und Krishna, an einigen Stellen die Grenzziehung, die Umsetzung eines Teils der in Hyderabad konzentrierten Beamtenschaft und der Aufbau einer neuen Hauptstadt für Seemandhra. Den indischen Staatshaushalt wird das Unternehmen Milliardensummen kosten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 3. August 2013


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