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Jets vom Discounter

Indien will seine Luftwaffe modernisieren und Anbieter wetteifern um Zuschlag. Nun scheint eine Vorentscheidung gefallen – gegen USA und Rußland

Von Dieter Schubert *

Indien will seine Luftwaffe modernisieren, und der Westen liefert die Gerätschaft. Dies scheint jedenfalls der aktuelle Stand der Dinge. Bei dem Deal geht es um einiges, sowohl für das Militär und die rüstungstechnische Infrastruktur der aufstrebenden asiatischen Wirtschaftsmacht als auch für die potentiellen Lieferanten. Denn entscheidende Bedingung des auf rund sieben Milliarden Euro geschätzten Auftrages ist es, daß der Gewinner die Hälfte der Vetrtragssumme in Indien investiert. 126 Kampflugzeuge will Neu-Delhi insgesamt kaufen, bzw. im Land fertigen lassen. Ende vergangener Woche verlautete aus unterschiedlichen Quellen, die Ausschreibung für das Waffengeschäft sei in die entscheidende Phase getreten. Lediglich das Konsortium des westeuropäischen Gemeischaftsprojektes »Eurofighter« und der französische Hersteller Dassault seien noch im Rennen um den Zuschlag. Auf der Strecke geblieben wären demnach die Anbieter aus den USA, Schweden und Rußland.

Käufer diktiert

Die Bedingungen der Ausschreibung scheinen hart. Denn Delhi verlangt nicht nur die Einrichtung eines kompletten Montagewerkes, sondern will wohl auch die wichtigsten Blaupausen der Konstrukteure, also das berüchtigte »geistige Eigentum« als Teil des Geschäftes. Da jedoch die Rüstungsproduzenten des Westens in der Regel durch Steuergelder subventioniert werden, scheint der Deal trotzdem ökonomisch rentabel für die Konzerne. Politisch und militärstrategisch ist er es ohnehin.

Bislang wird Indiens Luftraum durch Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart geschützt. Das Kernstück bilden immer noch Jets der Baureihe MiG-21. Die lehrten zwar zu Beginn des Vietnamkrieges die US-Piloten das Fürchten, sind aber inzwischen hoffnungslos veraltet. Die indisch-russische Rüstungskooperation hat Tradition, so daß sich der Moskauer Waffenexporteur Rosoboronexport gute Chancen ausrechnete, Delhi die neueste Version der MiG-35 schmackhaft machen zu können. Offensichtlich vergeblich, denn der staatliche Exportmonopolist bestätigte einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti zufolge, daß man aus dem Wettbewerb aussteige. Nowosti zitierte den Rosoboronexport-Sprecher Wjatschelaw Dawidenko mit der tröstlichen Bemerkung, man sei ja immer noch bei anderen indischen Ausschreibungen,er, Tankflugzeuge, Aufklärungshubschrauber und schwere Transporthubschrauber, dabei. Für Moskau ist das Ausscheiden dennoch eine Schlappe, denn die Luft- und Raumfahrtindustrie gilt als einer der wenigen Industriezweige des Landes, die weltmarktfähig sind. Wohl hatte man auch auf mehr politischen Aufwind aus der Tatsache gehofft, daß Moskau und Delhi gemeinsam mit China, Brasilien und Südafrika in der sogenannten BRICS-Gruppe versuchen, ein globales Gegengewicht zu USA und Westeuropa aufzubauen.

Washington sauer

Für die US-Anbieter Lockheed Martin und Boeing ist das Ausscheiden unangenehm. Trotz vielfältiger Bemühungen ist es den US-Multis bisher nicht gelungen, in Indien entscheidend voranzukommen. Das mag damit zusammenhängen, daß sie jahrzehntelang den »Erzfeind« Pakistan militärisch hochgerüstet haben, kann aber auch an mangelnden Zugeständnissen beim Abgeben »geistigen Eigentums« liegen. Da ist man in Washington gewohnt zurückhaltend, auch wenn es sich bei den im Wettbewerb ausgeschiedenen Modellen nicht um die neuesten Entwicklungen handelt. Angeboten waren die F/A 18 »Super Hornet« von Boeing und die bereits betagte F-16 von Lockheed Martin. US-Botschafter Timothy J. Roemer sagte einer Mitteilung zufolge, man respektiere den Prozeß der Auftragsvergabe. »Wir sind jedoch tief enttäuscht über diese Nachricht«, zitierte ihn die Nachrichtenagentur dpa.

Nun heißt es also Eurofighter »Typhoon« gegen »Rafale«. Das löste vermutlich in Frankreich Freude aus, auch wenn die Rüstungslobby der Möchtegern-Weltmacht gespalten sein dürfte. Beide Modelle werden maßgeblich unter französischer Regie gefertigt, wobei beim Eurofighter neben dem französisch-deutsch-spanischen EADS-Konzern noch der weltgrößte Rüstungsproduzent BAe-Systems (Großbritannien) mitspielt.

Für die Hersteller scheint auch der Libyen-Krieg passend gekommen zu sein: Sowohl Eurofighter als auch Rafale können dort im »praktischen Test« bewundert werden – ein Schelm der Böses dabei denkt.

* Aus: junge Welt, 3. Mai 2011


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