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Kein Vertrauen in Indiens Wirtschaft

Rupie verliert immer mehr an Wert – Investoren ziehen Gelder ab

Von Stefan Mentschel, Delhi *

Seit Wochen befindet sich die indische Währung im Tiefflug. Nie zuvor stand die Rupie so schlecht zu Dollar und Euro. Die Ursachen sind größtenteils hausgemacht. Indiens Regierung wirkt unterdessen hilflos.

Wer einmal von Dubai oder Bangkok in Richtung Delhi abgeflogen ist, dem werden an den Check-in-Schaltern Reisende mit Riesenpaketen aufgefallen sein. Darin: Fernseher, die in Indien viel teurer sind. Für die Einfuhr der Geräte im Fluggepäck musste bislang kein Zoll bezahlt werden. Viele indische Geschäftsleute nutzten das aus und brachten auf diesem Weg allein 2012 über eine Million Fernseher ins Land. Der Staat ging bei dem Geschäftsmodell bisher leer aus.

Damit soll nun Schluss sein. Das Finanzministerium kündigte an, an Flughäfen künftig Einfuhrzoll in Höhe von rund 36 Prozent auf TV-Geräte zu erheben. Bereits in den vergangenen Tagen hatte die Regierung den Import von Gold verteuert, um die in Indien beliebte Geldanlage unattraktiver zu machen. Auch für andere hochwertige Güter wurden die Zölle erhöht.

Hintergrund ist der anhaltende Verfall der indischen Währung. Innerhalb weniger Monate büßte die Rupie im Vergleich zu US-Dollar und Euro fast ein Fünftel ihres Wertes ein. Wer Anfang April nach Indien reiste, bekam für einen Euro 69 Rupien, heute sind es 85.

Mit den Zöllen will die Regierung dem entgegenwirken. Gleichzeitig erschwerte die Zen- tralbank den Transfer indischen Kapitals ins Ausland. So dürfen indische Firmen künftig nur noch 100 Prozent ihres Nettowerts in anderen Ländern investieren, bisher waren es 400 Prozent. Überweisungen von Privatpersonen ins Ausland wurden auf umgerechnet 56 000 Euro pro Jahr beschränkt.

Doch den Verfall der Rupie hat das nicht gestoppt. »Die Ursache dieser Krise lässt sich nicht mit populistischen Ad-hoc-Maßnahmen wie Zöllen auf Fernseher beheben«, sagt ein westlicher Wirtschaftsexperte in Delhi. Investoren würden so eher abgeschreckt. Hauptproblem sei vielmehr das schwindende Vertrauen in die Wirtschaftspolitik der Regierung.

»Dringend notwendige Reformen kommen nicht voran. Probleme werden verwaltet, nicht gelöst«, so der Experte. Bürokratische Hürden seien unverändert hoch. Auch Korruption und mangelhafte Infrastruktur behinderten die Entwicklung. Ob sich daran vor den Wahlen Anfang 2014 etwas ändern wird, darf bezweifelt werden. »Die Geduld vieler Investoren ist erschöpft.«

Die Zahlen bekräftigen diesen Eindruck: Die indische Wirtschaft wächst derzeit mit fünf Prozent so wenig wie seit einem Jahrzehnt nicht. Damit bleibt sie weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Gleichzeitig stieg das Leistungsbilanzdefizit auf ein Rekordhoch von 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da Indien jedoch auf die Einfuhr von Rohstoffen und anderen Produkte angewiesen ist, könnte die schwache Rupie das Wachstum weiter abschwächen.

Zudem wirken sich teure Importe – etwa von Rohöl – direkt auf die Bevölkerung aus: Mit den Benzinpreisen steigen Transportkosten und damit die Lebensmittelpreise. In Delhi gab es bereits Proteste gegen die hohen Zwiebelpreise. »Diese Entwicklung treibt die Inflation noch weiter in die Höhe«, erklärt Soumya Kanti Ghosh von der State Bank of India. Die Teuerungsrate liegt seit Monaten um zehn Prozent.

»Indien verliert die Kontrolle über die Rupie, und die Schwäche weitet sich auf die Aktienmärkte aus«, sagt Manik Narain von der Schweizer UBS. »Es könnte eine Spirale in Gang kommen, wenn die schwache Währung Aktieninvestoren aus dem Land treibt und daraufhin die Rupie weiter abwertet.« Ausländische Geldgeber haben seit Ende Mai umgerechnet über neun Milliarden Euro aus indischen Aktien abgezogen. Auch Staatsanleihen werden immer unattraktiver, weshalb die Zentralbank die Zinssätze zu Wochenbeginn auf 9,23 Prozent erhöhte. Zudem leidet Indien wie andere Schwellenländer unter der Andeutung der US-Notenbank, künftig weniger Staatsanleihen zu kaufen und damit den Kapitalfluss in diese Regionen weiter zu drosseln.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 22. August 2013


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