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"Waffenbrüder"

Trotz gemeinsamer indo-russischer Manöver hält Indien an prowestlichem Kurs fest

Von Hilmar König, Neu Delhi*

Während sich im kaschmirischen Erdbebengebiet indische Soldaten bei den Hilfsaktionen auszeichnen, proben Tausende ihrer Kameraden in Rajasthan und auf See mit russischen »Waffenbrüdern« für den militärischen Ernstfall. Am Wochenende wurden diese gemeinsamen Manöver, von Indiens Medien nahezu unbeachtet, unter dem Namen »Indra-2005« durchgeführt. Fallschirmjäger beider Staaten attackierten beispielsweise im rajasthanischen Wüstensand ein potjomkinsches Terroristenlager. Und im Golf von Bengalen kreuzten Schiffe der russischen und indischen Marine, um in konzertierter Aktion einen imaginären Feind unschädlich zu machen. Zwei Monate lang waren Kommandeure der indischen Streitkräfte zum Sprachkurs in Rußland, damit es bei den Manövern keine Verständigungsprobleme gab. Von russischer Seite waren 1600 Mann, darunter ein Fallschirmjäger-Bataillon, drei Landepanzer sowie mehrere Schiffe der Pazifikflotte beteiligt.

Auch wenn es sich nicht um die ersten gemeinsamen Manöver handelte, erfolgten sie doch zu einem besonderen Zeitpunkt. In den vergangenen Monaten entstand der Eindruck, daß sich das indische Militär allmählich von seinen traditionellen sowjetisch-russischen Waffengefährten entfernt. Diese hatten schon bald nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 für die Ausrüstung der indischen Armee gesorgt. Noch heute sind Neu-Delhis Streitkräfte – die viertgrößten der Welt – zu mehr als 50 Prozent mit russischer Kampftechnik bestückt. Doch die Umorientierung ist unverkennbar. Früher unvorstellbare gemeinsame Militärmanöver mit den USA oder Frankreich liefern inzwischen keine Schlagzeilen mehr. Auch die westlichen Waffenhändler, darunter sehr aktiv die israelischen, geben sich in Neu-Delhi die Klinke in die Hand. Gerade weilte der Vizepräsident von U.S. Boeing Integrated Defence Systems, Jim Aulbaugh, hier. Er wollte nach eigenem Bekunden nicht nur Kriegsgerät verkaufen, sondern eine stabile Partnerschaft u. a. mit dem Indischen Institut für Wissenschaften in Bangalore, der Organisation für Verteidigungsforschung und -entwicklung sowie mit der Indischen Kosmosforschungsorganisation (ISRO) initiieren. In den nächsten zehn Jahren, so rechnet man nicht nur bei Boeing, könnte der indische Rüstungsmarkt 15 Milliarden Dollar abwerfen.

Nicht nur die Linken sehen diesen Trend mit Besorgnis. Er geht mit einem schleichenden Wandel in der Außenpolitik einher – weg von der traditionellen Position an der Seite der Entwicklungsländer und in der Bewegung der Blockfreien, hin zum Westen, vor allem zu den USA. Enormen Wirbel löste Verteidigungsminister Pranab Mukherjee kürzlich aus, als er in Washington eine strategische Partnerschaft protokollierte.

Noch mehr Aufsehen erregte Premier Manmohan Singh im September bei seinem USA-Besuch mit dem sogenannten »Atom Deal«: Neu-Delhi wäre bereit, seine zivilen von den militärischen Nuklearanlagen zu trennen und die zivilen der IAEA-Kontrolle zu unterstellen, wenn die USA Kernbrennmaterial und moderne Atomausrüstungen liefern. In Indien wurde das als »Verrat nationaler Interessen« und als »Wende in der Außenpolitik« gebrandmarkt. Diese Wende manifestierte sich auch im Abstimmungsverhalten Neu-Delhis gegen Iran beim IAEA-Meeting im September in Wien.

Die Linken sind zwar Wortführer mit ihrer Kritik an diesem Kurs. Aber sie stehen nicht allein. Selbst der ehemalige Chef des Armeestabes, General a. D. Sundararajam Padmanabhan, warnt davor, sich völlig in die Arme der Vereinigten Staaten zu werfen. Das zahle sich nicht aus, wäre nur Verschwendung von Zeit und Geld. »Wir sind, wo wir waren, bekommen Tee und Sympathie, ein paar Radargeräte und ein vages Angebot über F-16-Kampfflugzeuge,« schreibt er in seinem Buch »Ein General spricht«. Pakistan hingegen als Washingtons »Haupt-Nicht-NATO-Verbündeter« sei dessen wirklicher Partner. Nach Padmanabhans Meinung wäre es für Indien nützlicher, engere militärische Beziehungen zu Rußland und China anzustreben. Politische Beobachter äußern, die jüngsten indo-russischen Manöver seien, abgesehen vom praktischen Nutzen für die Streitkräfte, eine Art politisches Feigenblatt, das den unter der Vajpayee-Regierung eingeleiteten und der jetzigen Regierung der Vereinten Progressiven Allianz fortgesetzten prowestlichen Kurs nur dürftig kaschiert.

* Aus: junge Welt, 17. Oktober 2005


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