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Indische Papiertiger

Das Ausschlachten alter PCs ist nicht nur einträglich, es ist auch extrem gesundheitsschädlich. Seit Mai versucht Neu Dehli per Gesetz die Risiken des Elektronikschrottrecyclings zu minimieren. Mit mäßigem Erfolg

Von Thomas Berger *

Seine Arbeit ist gefährlich und schadet seiner Gesundheit. Darüber macht sich der junge Mann keine Illusionen. »Ja, natürlich weiß ich das«, sagt er in gebrochenem Englisch. Aber was soll er machen? Mit dem Job ernährt er seine Familie, ihm bleibt keine Wahl. Damit er und seine Kinder heute nicht hungern, nimmt er vieles in Kauf: Die Giftstoffe, mit denen er täglich hantiert, könnten auf längere Sicht seine Lungen kaputt machen oder Krebs auslösen; auch Unfruchtbarkeit oder Hautkrankheiten sind mögliche Folgeschäden. Und das sind nur einige der Risiken für den menschliche Organismus bei ungeschützter Arbeit mit den unterschiedlichen hier verwendeten Substanzen.

Der Mann recycelt: Er zerlegt ausrangierte Bildschirme und schlachtet sie aus. Es sind nicht die flachen neuen Geräte, die im Westen inzwischen fast überall Standard sind. Es sind die herkömmlichen bauchigen Modelle, die in eben dieser Wölbung Blei enthalten. Ein giftiges Schwermetall, dessen gesundheitsschädlichen Auswirkungen bis heute nicht ausreichend erforscht sind. Erbrechen und Kopfschmerzen sind die ersten Symptome bei Menschen, die länger damit in Kontakt sind. Auf Dauer kommt es einer langen Risikoliste zufolge unter anderem zu Beeinträchtigungen des Zentralnervensystems, der Fortpflanzungsfähigkeit, Schädigung des Erbgutes. Auch als krebserregend wird Blei eingestuft.

Zentrum des Computer-Recyclings ist Old Seelampur, ein geschäftiger Stadtteil am nördlichen Rand des Zentrums von Indiens Millionenmetropole Dehli. Wer hier lebt und arbeitet, kommt üblicherweise nicht nur mit gesundheitsschädlichem Blei in Berührung. Auch Quecksilber, Kadmium, Beryllium oder Arsen gehören zu den giftigen Substanzen, mit denen hier hantiert wird. Stoffe, die man selten direkt wahrnimmt. Sie sind jedoch in vielen Gerätschaften enthalten, die das moderne Leben leichter und angenehmer machen, vor allem bei der Informationsverarbeitung und Kommunikation. Computerkomponenten, Handys und Co. erfüllen wichtige Funktionen zur Sicherung der technischen Leistung und Betriebsfähigkeit. Ganz nebenbei enthalten die Geräte auch noch Gold, Silber oder Kupfer – wertvolle Metalle, die nicht endgültig auf dem Müll landen, sondern der Zweitverwertung zugeführt werden sollen.

Von »Müll« kann hier in Old Seelampur daher auch nicht die Rede sein. Sicher, was an den Straßen und in offenen Lagerräumen liegt, ist zunächst einmal der Abfall von Indiens digitaler Revolution. Doch die ausrangierte Technik ruft nach fleißigen Händen, die sie in ihre einzelnen Komponenten zerlegt, mitunter gar in die betreffenden Stoffe separiert. Old Seelampur ist eine Art Computerfriedhof. Wobei nur der kleinste Teil der Rechner im Boden vergraben wird. Das meiste kann verwertet werden, hat Aussicht wenigstens auf ein weiteres Leben, womöglich gar mehrere. Ein Sinnbild in jenem Land, dessen dominierende Religion des Hinduismus als eine der Kernthesen an die Wiedergeburt glaubt.

Doch für Old Seelampurs wichtigsten Wirtschaftsbereich brechen schwierige Zeiten an. Die indische Regierung hat dem »grauen Sektor« des Elektronikschrottrecyclings den Kampf angesagt. Seit Mai dieses Jahres gilt ein neues ambitioniertes Gesetz. Auch auf dem Subkontinent, so die Vorgabe, sollen technische Geräte nunmehr umweltgerecht entsorgt und wieder verwertbare Bestandteile aufbereitet werden. Soweit zumindest die Theorie: Noch hat sich die Neuerung nicht in der Praxis durchgesetzt. Was auf einem Stück Papier ehrgeizig formuliert ist, harrt gerade in Indien der noch weitaus größeren Herausforderung praktischer Umsetzung. So fehlt es derzeit nicht nur an ausreichenden Kontrollmöglichkeiten zur Einhaltung der eingeführten Vorschriften. Auch an modernen Alternativen zum herkömmlichen System des Elektronikrecyclings besteht bisher noch Mangelware.

»Wir wissen, daß wir nun Konkurrenz bekommen. Und das ist gut so.« Dies ist eine seltsame Aussage für den ranghohen Vertreter eines Unternehmens. Aber HG Harish, Personalmanager bei der Firma E-Parisaraa in Bangalore, meint es absolut ernst. Sein Betrieb ist eine Art Vorreiter beim Umweltschutz. E-Parisaraa war bei der Gründung 2006 landesweit das erste Unternehmen, das modernsten Standards bei der Aufbereitung dessen genügte, was im Englischen E-Waste heißt und deutsch als Elektronikschrott übersetzt werden kann. Aus Deutschland kam denn auch die Starthilfe – die damalige Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), heute mit anderen zur GIZ fusioniert, brachte das entsprechende Know-how mit. 40 Kilometer vor den Toren von Indiens IT-Metropole im mittleren Süden entstand die Anlage. Nach sechs Jahren hat sich das einstige Experiment bewährt, kann nun als funktionierendes Vorbild für andere gelten. Doch nicht nur manch planerisch-technische Hürde galt es anfangs zu nehmen. Vor allem Überzeugungsarbeit mußte geleistet werden, um genügend Kunden zu gewinnen. Sogar einige sehr namhafte Konzerne waren es gewohnt, ihre ausrangierte Computertechnik in dunklen Kanälen verschwinden zu lassen.

Um verstärkten bzw. jetzt überhaupt erstmals richtig aufkommenden Wettbewerb muß den führenden Köpfen bei E-Parisaraa wie Harish nicht bange sein. Denn die Berge von Elektronikabfällen sind riesig: Hatte ein Computer vor kurzem in Indien noch eine durchschnittliche Nutzungsdauer von zehn Jahren, so hat sich dieser Wert auch hier längst halbiert. Ähnlich sieht es bei anderen Geräten aus. Landesweit braucht es da jede Menge Firmen, um das Aufkommen entsprechend den neuen Regularien zu bewältigen. Ein weiterer Vorreiter sitzt nun auch schon seit einigen Jahren in der Wirtschaftsmetropole Mumbai (Bombay). Ecoreco ist die Kurzform für Eco-Recycling, und der 2007 gegründete Betrieb hat ebenso wie E-Parisaraa schon jede Menge Preise und Lobeswortes eingeheimst.

Den jeweils Verantwortlichen ist aber auch klar, daß sie immer noch ziemlich am Anfang stehen. Von einem geregelten Rücknahmesystem für Altgeräte kann in Indien noch keine Rede sein. Beide Firmen bieten aber immerhin Abholung oder aber ein erstes kleines Netz von zentralen Sammelpunkten an. Das neue Gesetz findet man dort gut, und auch die Umweltverbände äußern sich lobend. Das ist wenig verwunderlich. Denn sie haben dem zuständigen Ministerium bei der Formulierung hilfreich zur Seite gestanden. Trotzdem gibt es Regelungslücken. So bleibt die Annahme von importiertem Elektronikabfall auch weiterhin legal. Ein Passus im Gesetzentwurf war in letzter Minute noch gestrichen worden, sehr zur Enttäuschung der Öko-Gruppen wie beispielsweise Greenpeace.

Vor allem aber fehlt den staatlichen Kontrollorganen bislang die Durchsetzungskraft: Sie sind nur notdürftig mit Mitarbeitern ausgestattet und diesen mangelt es zudem häufig an der fachlichen Kompetenz. Noch sind die neuen Vorschriften zur ordnungsgemäßen Entsorgung lediglich ein Papiertiger, in den engen Straßenzügen von Old Seelampur hat sich auch mehr als zwei Monate nach Inkrafttreten nichts verändert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. Juli 2012


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